Lukaschenko erklärt sich zum Sieger
Minsk (n-ost) - „Freiheit“, „Die Polizei mit dem Volk“, „Es lebe Belarus!“. Immer wieder schallen am Sonntagabend Sprechchöre über den Oktjabrskaja-Platz im Zentrum von Minsk. Trotz Demonstrationsverbot sind über 10.000 Menschen gekommen, um gegen Wahlfälschungen und staatliche Gängelung während der Präsidentschaftswahl zu demonstrieren. Unter den weißen Säulen des so genannten „Gewerkschafts-Palastes“ hatten die Demonstranten abends in Windeseile eine kleine Lautsprecheranlage installiert. Die beiden Oppositionskandidaten Aleksandr Milinkewitsch und Aleksandr Kosulin - beide ehemalige Universitätsrektoren und beide im wahlkampf noch getrennt marschierend - standen nun Seite an Seite und forderten die etwa 10.000 Demonstranten mit feurigen Reden zum Durchhalten auf. Trotz Temperaturen von Minus fünf Grad Minus und einem Schneesturm harten viele Menschen drei Stunden lang aus.
Es ist die größte Kundgebung der Opposition seit Jahren. Die Polizei parkte in den Seitengassen Gefangenentransporter, hielt sich ansonsten aber auffallend zurück. Während der Demonstration machte das Gerücht die Runde, Kreml-Chef Wladimir Putin habe Lukaschenko angerufen und ihn aufgefordert, keine Gewalt gegen die Demonstranten anzuwenden.
Die Stimmung war ausgelassen, denn die Demonstranten hatten ihre Angst überwunden. Letzte Woche hatte der Geheimdienstchef Stepan Suchorenko noch gedroht, jeder der nach der Wahl am Sonntag auf der Straße demonstriere, werde als Terrorist angesehen und entsprechend bestraft. Politiker aus Polen, der Ukraine und Russland übermittelten den Demonstranten von der improvisierten Rednertribüne aus ihre Solidarität. Besondere Freude kam auf, als Marie-Luise Beck (Grüne) den Teilnehmern der Kundgebung die Grüße des deutschen Parlaments überbrachte und erklärte, mit dem heutigen Tag beginne das Ende des „nichtdemokratischen Regimes“ in Belarus. Belarus gehöre zur Familie der freien Völker Europas. Ein Jubelsturm war die Antwort. Um elf Uhr nachts zogen die Demonstranten in einem langen Zug zum „Platz des Sieges“. Die Autofahrer hupten begeistert im Takt der Sprechchöre. Man hatte den Eindruck, dass ganz Minsk auf der Seite der Opposition steht.
Wir müssen zehnmal mehr sein
„Es müssen zehnmal mehr Demonstranten kommen, damit die Macht die Stimme des Volkes hört“, erklärte Sergej Kaljakin, Wahlkampfmanager von Aleksandr Milinkewitsch und erster Sekretär der Partei der Kommunisten Weißrusslands auf einer Pressekonferenz am Montag. Wie aus einer Umfrage des unabhängigen russischen Lewada-Meinungsforschungsinstituts hervorgehe, habe Lukaschenko nicht mehr als 47 Prozent der Stimmen bekommen.
Der wiedergewählte Präsident Aleksandr Lukaschenko präsentierte sich derweil am Montag auf einer dreistündigen Pressekonferenz als stolzer Sieger. In den Wahlen hätten die Weißrußen ihren Willen gegenüber dem Druck aus dem Ausland behauptet. „Die Revolution, von der so viel geredet wurde, hat nicht stattgefunden.“
Oleg, Aleksej, Aleksandr und Sergej wären gerne auf die Demonstration gegen die Wahlfälschungen gegangen. Aber sie konnten nicht. Die Eltern hatten ihren 17-jährigen Söhnen die Teilnahme verboten. „Meine Eltern sind für Milinkewitsch, aber sie hatten Angst, dass mir etwas passiert,“ berichtet Aleksej. Damit der Sohn auch wirklich unter Kontrolle bleibt, hatte der Vater einfach die Wohnung abgeschlossen und die Schlüssel versteckt. „Das am Montag wieder demonstriert werden soll, wissen meine Eltern noch nicht.“ Diesmal hofft er das Haus ungehindert verlassen zu können.
So wie den vier Jungs ging es am Sonntagabend Tausenden von Studenten und Schülern. Studentenwohnheime waren abgeschlossen worden, berichteten Vertreter der Opposition. Angeblich wurden sogar Vorortzüge und Busse streng kontrolliert oder sogar ausgesetzt, damit keine Anhänger der Opposition zur Kundgebung nach Kiew fahren konnten.
Am Montag früh verkündete die Vorsitzende der weißrussischen Zentralen Wahlkommission Lidia Ermoschina das vorläufige Ergebnis der Präsidentschaftswahl. Danach bekam Amtsinhaber Lukaschenko 82 Prozent der Stimmen, die beiden Oppositionskandidaten Aleksander Milinkewitsch und Aleksandr Kosulin sechs bzw. 2,3 Prozent und der von der Macht geförderte Kandidat Sergej Gajdukewitsch 3,5 Prozent. Es fehlte nicht der Seitenhieb auf die Opposition. Diese würden lieber demonstrieren als die Wahlen zu beobachten, erklärte Frau Ermoschina.
Oppositionskandidat fordert Annullierung
Oppositionskandidat Aleksandr Milinkewitsch erklärte am Montag auf seiner Pressekonferenz in Minsk, er erkenne die Wahlen nicht an. Der Wahlkampf sei nicht von den Wahlkommissionen sondern von den Sicherheitsorganen geführt worden. Die Wahlen müssten wiederholt werden. Es müsse sichergestellt sein, dass Oppositionellen nicht ihre Arbeits- oder Studienplätze verlieren und nicht verhaftet werden, wie es zurzeit der Fall sei.
Milinkewitsch forderte auf, weiter zu demonstrieren. „Mit dieser Macht kann man nur mit Hilfe der Straße sprechen. Niemals erkennt ein Diktator seine Niederlage an.“
Die Beobachter der OSZE erklärten, die Wahlen hätten nicht den internationalen Standards genügt. Insbesondere wurde die einseitige Medienberichterstattung zugunsten von Amtsinhaber Lukaschenko moniert. Die OSZE appellierte an die Opposition vor den Gerichten gegen die Unregelmäßigkeiten zu klagen. Dieser Rat rief den Protest zahlreicher Journalisten hervor, die gehofft hatte, die OSZE würde die Forderung der Opposition nach einer Annullierung der Wahlen unterstützen. Ein derartiger Schritt ist offenbar jedoch nicht möglich, weil Belarus selbst Mitglied der OSZE ist und die Organisation sich als Schlichter nicht aber als Ankläger begreift.
Der Europarat wies die Wiederwahl Lukaschenkos als Farce zurück. Die Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner erklärte, möglicherweise würden Sanktionen gegen Weißrussland beschlossen. Im Gespräch sind weitere Verschärfungen der Reisebeschränkungen für Regierungsmitglieder. Auf die Bevölkerung sollten sich die Sanktionen auf keinen Fall auswirken.
Ende
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