Belarus

„Ich habe endlich wieder die Luft der Freiheit geatmet“

Minsk (n-ost) - Der Oktoberplatz in Minsk wird von einer bedrohlichen Kulisse eingerahmt: Der monströse, neoklassizistische „Palast der Republik“ mit seinem Säulengang ist einer von Alexander Lukaschenkos Prestigebauten. Ihm gegenüber, auf einer fünf Meter breiten Leinwand, laufen pausenlos die Nachrichten des staatlichen weißrussischen Fernsehens – Erfolgsmeldungen über den Präsidenten, der das Land seit 1994 mit eiserner Faust regiert. Trotzdem soll gerade dieser Platz die Wiege der neuen weißrussischen Demokratie werden.

„Es lebe Weißrussland“ und „Für die Freiheit“ skandieren hier am Sonntagabend etwa 15.000 Menschen. Sie demonstrieren gegen das Ergebnis der Präsidentenwahl, das ihrer Meinung nach gefälscht wurde. Die offiziellen Zahlen klingen in der Tat unglaubwürdig: 92 Prozent der Wahlbeteiligten sollen ihre Stimme abgegeben haben, über 82 Prozent der Stimmen entfielen auf Alexander Lukaschenko. Die Opposition hält Umfragen dagegen, wonach der Amtsinhaber maximal 47 Prozent erreicht. Sie geht davon aus, dass die abgegebenen Stimmen gar nicht gezählt sondern ein vorbereitetes Ergebnis präsentiert wurde.

Neben der alten, weiß-rot-weißen Fahne von Weißrussland ragt auf dem Oktoberplatz der Sternenkreis der Europäischen Union und das Blau-Gelb des Nachbarlandes Ukraine in den Himmel. „Ich hätte nicht gedacht, dass es in unserem Land so viele tapfere Menschen gibt“, sagt die 26-jährige PR-Managerin Nadjeschda begeistert.

Die Regierung in Minsk tut alles, um ihre Bürger von Protesten abzuhalten. Sie dürfte hinter einer Nachricht stecken, die am Wahlabend an alle weißrussischen Mobiltelefone versandt wurde: „Provokateure“ bereiteten derzeit in der Minsker Innenstadt ein Blutbad vor. Zuvor sagte Stepan Suchorenko, der Leiter des staatlichen Geheimdienstes, der hierzulande immer noch KGB heißt, dass Demonstranten gegen die Wahlfälschungen als „Terroristen“ betrachtet werden und mit langjährigen Gefängnisstrafen rechnen müssten.

„Ich habe Angst. Aber ich musste einfach kommen, um endlich einmal wieder die Luft der Freiheit zu atmen“, sagt die 67-jährige Rentnerin Helena Lisitskaja. Sie trägt eine rote Mütze auf dem Kopf und eine weiße Nelke in der Hand. Doch lange hält auch sie es nicht aus: Gegen zehn Uhr abends fegt ein Schneesturm über den Oktoberplatz und treibt viele Menschen nach Hause. Unter den Demonstranten macht sogar das Gerücht die Runde, das plötzliche Unwetter sei künstlich erzeugt worden.

Der aussichtsreichste Kandidat der Opposition Alexander Milinkewitsch hofft dennoch, dass die Proteste in den kommenden Tagen noch stärker werden. „So viele Menschen wie am Sonntag haben in Weißrussland seit zehn Jahren nicht mehr an Demonstrationen teilgenommen“, erklärt er. Die Menschen seien dabei, ihre Angst vor dem Regime zu überwinden.

Die OSZE, die die Wahlen mit 500 Beobachtern zu kontrollieren versuchte, stellte am Montag nüchtern fest, dass der Urnengang internationalen Standards nicht entsprochen habe. OSZE-Delegationsleiter Alcee Hastings kommentierte: „Die Demokratie in Weißrussland steckt noch in den Kinderschuhen.“

Die Opposition fordert Neuwahlen, an denen der amtierende Alexander Lukaschenko nicht mehr teilnehmen dürfe. Denn eine dritte Amtszeit widerspreche ohnehin der weißrussischen Verfassung, so Oppositionsführer Milinkewitsch. An den Westen appellierte der 58-Jährige, der laut offiziellem Endergebnis nur sechs Prozent der Stimmen erreichte, das Regime Lukaschenko nicht länger anzuerkennen. „Das waren keine Wahlen, sondern eine verfassungswidrige Machtergreifung.“

Alexander Lukaschenko zeigt sich davon unbeeindruckt. „Lassen Sie mich sagen, dass die Revolution, über die so viele geredet haben und die einige vorbereitet haben, gescheitert ist“, erklärte er bei einer Pressekonferenz am Montag. Er habe eine besondere Verbindung zu seinem Volk, das würden weder die Opposition noch die ausländischen Beobachter je verstehen. Gleichzeitig warnte Lukaschenko die Weltgemeinschaft vor wirtschaftlichen Sanktionen. 30 Prozent des Staatshaushaltes von Litauen und Lettland stamme aus der Zusammenarbeit mit seinem Land. „Wenn die Europäische Union Probleme haben will, dann kann sie die haben“, erklärte Lukaschenko.

Von einer „Revolution“ wie in der Ukraine vor anderthalb Jahren ist Weissrussland weit entfernt. Zum einen ist die Opposition schlecht organisiert. Auf dem Oktoberplatz am Sonntagabend hatte sie nicht einmal eine Verstärkeranlage dabei. Zum anderen scheint die weißrussische Führung gewaltbereit zu sein. 2.000 Mitglieder einer Sondereinheit der Miliz standen schon am Sonntag bereit, um die Versammelten auseinanderzutreiben. Üblicherweise geschieht das in Weißrussland aber erst am dritten Tag von Massenprotesten – also am morgigen Mittwoch, wenn die internationalen Wahlbeobachter und Journalisten das Land wieder verlassen haben.

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