Graf Dracula – der Liebe
Bukarest (n-ost) - Da der Fußballer Marcel Raducanu bereits seit Jahrzehnten nicht mehr für Borussia Dortmund spielt, kennen die meisten Deutschen nur noch zwei Rumänen: Nicolae Ceausescu und Graf Dracula. Beides Figuren, die in der Welt Angst und Schrecken verbreitet haben. Der kommunistische Diktator Nicolae Ceausescu wurde Ende Dezember 1989 gestürzt und innerhalb von vier Tagen hingerichtet. Graf Dracula ist im Gegensatz zu ihm ein Untoter, der seit über einhundert Jahren durch ungezählte Schauerstorys, Horrorromane und Schockfilme spukt und als Blutsäufer, Tyrann und Massenmörder vorgestellt wird.
Ausgerechnet Ceausescu war es, der während seiner Herrschaft eine Glorifizierung Draculas als großer Diplomat, Heerführer und Patriot betrieb. Dies hat den rumänischen Dichter und Dramatiker Marin Sorescu prompt dazu inspiriert, 1978 in seinem preisgekrönten Dracula-Drama „A treia teapa“ (Der dritte Pfahl) unterschwellige Parallelen zwischen beiden Personen zu ziehen.
Doch wer war Graf Dracula wirklich? Die einfachste Erklärung wäre es, ihn als einen von vielen frühneuzeitlichen Herrschern zu porträtieren, die allein wegen Fehlübersetzungen ihrer Namen oder Titel zu einem Negativimage kamen. Das hat es in Osteuropa häufig gegeben: „Despot“ war ein ganz normaler serbischer Herrschertitel, auch „Iwan der Schreckliche“ war nicht schrecklich, sondern groznyj, also „urgewaltig“ oder „elementar“. Dasselbe geschah mit Dracula: Drac (plus direktem Artikel ul) heißt rumänisch „der Teufel“, war aber gleichzeitig der Titel der Mitglieder des „Drachenordens“, den der ungarische König Sigismund 1408 gestiftet hatte. Draculas Vater Vlad wurde 1431 Mitglied dieser höchst exklusiven Societas Draconis und von ihm übertrug sich der Titel „Dracul“ auf den Sohn. Auch dessen zweiter Beiname „tepes“ sollte weniger als „Pfähler“ und wohl eher mit „Lanzenträger“ oder „Speerwerfer“ übersetzt werden.
„Probabil“ (vermutlich) ist in der Dracula-Literatur Rumäniens eines der meistgebrauchten Wörter, weil man zwar manches über ihn weiß, aber längst nicht alles. Bekannt ist die schwierige politische Situation, in der sich die Karpatenregionen im 15. Jahrhundert befanden. Seit knapp 200 Jahren hatten sich dort die rumänischen Staaten Walachei und Moldau etabliert, die nun in das Mahlwerk von Großmachtrivalitäten gerieten. In der Walachei regierte seit 1436 Vlad II., „probabil“ 1390 geboren. 1444 hätte dieser als „Dracul“ und als ungarischer Vasall am Krieg des Reichs gegen die auf dem Balkan vorrückenden Osmanen teilnehmen sollen. Er misstraute jedoch den ungarischen Feldherren und blieb neutral – eine weise Entscheidung, da das „christliche“ Heer vernichtend geschlagen wurde, aber auch eine fatale, da sie Vlad die dauernde Feindschaft der Ungarn sicherte, die letztendlich hinter seiner Ermordung 1447 steckten.
1444 schlossen Ungarn und Osmanen Frieden, wofür Vlad seine zwei jüngeren Söhne, Vlad und Radu, als Geiseln stellen musste. Vier Jahre blieb Vlad junior, „probabil“ 1431 im transilvanischen Sighisoara (Schäßburg) geboren, in der anatolischen Festung Egrigöz eingeschlossen, bis ihm die Flucht in die Heimat gelang. Dort mühte er sich jahrelang um das Erbe seines Vaters, zunächst vergeblich. Die Osmanen hatten am 29. Mai 1453 die „orthodoxe Festung“ Konstantinopel erobert und schon zwei Jahre zuvor die Walachei ultimativ unter ihre Botmäßigkeit gezwungen. Wer dort Herrscher war, musste zwei Herren dienen, den Ungarn und den Osmanen.
Im Frühjahr 1456 war Vlad III. Draculea (Sohn des Dracula) am Ziel und setzte die kluge „Schaukelpolitik“ seines Vaters zunächst fort. Ab 1459 wurde er kühner, verweigerte den Osmanen den Tribut und schlug deren militärische Strafaktionen mit einem Partisanenkrieg zurück. So hätte es weitergehen können, wäre er nicht 1462 von rumänischen Bojaren und deutschen Siebenbürger Sachsen gestürzt und fast 15 Jahre in der Festung Vishegrad eingesperrt worden. Erst 1475 ließ man ihn frei, da sein militärisches Geschick gegen die Osmanen gebraucht wurde, und 1476 kehrte er auf den walachischen Thron zurück, nur um ein Jahr später in einer kalten Frühjahrsnacht 1477 auf Betreiben der Osmanen von einer moldauischen Garde umgebracht.
So weit das nüchterne Faktengerüst zu „Dracula“. Der Rest sind Übertreibungen, Verleumdungen, Legenden. Das begann schon zu seinen Lebzeiten, beispielsweise mit der legendären „Cronica Saseasca“ (Sachsenchronik), der unendlich viele Flugschriften folgten, wobei jede schrecklichere Dinge zu berichten wusste. Den Gipfel erreichte der schottische Autor Bram Stoker (1847-1912) mit seinem Roman „Dracula“ von 1897, der die Vampir-Welle auslöste.
Heute zieht das in der Nähe von Brasov (Kronstadt) direkt am Karpaten-Bogen gelegene „Dracula’s Castle“ Touristen magisch an. Dracula soll „probabil“ das Schloss 1460 kurzfristig besetzt haben. Aber das ist sehr unwahrscheinlich. Das Schloss – es hieß richtig Castel Bran - kam 1377 in den Besitz der Siebenbürger Sachsen, die es zur wehrhaften Zollstation zwischen ihrem Tara Barzei (Burzenland) und Draculas Walachei ausbauten. Von Bran bis nach Bistrita im nördlichen Transilvanien, wo Stokers Dracula-Roman spielt, sind es 200 Kilometer Luftlinie. Später verfiel das Schloss und wurde erst ab 1920 zur Residenz der rumänischen Königsfamilie umgebaut.
Vlad III. Draculea agierte in einer bewegten Zeit, die ihn zu wechselnden Bündnissen zwang und ihm dauerhafte Feindschaft auf allen Seiten einbrachte – bis hin zu gefälschten Briefen, die ihn als „Verräter“ hinstellten. Vlad wehrte sich mit den Mitteln, die Zeit und Region für angemessen ansahen, darunter auch das Pfählen. Aber dass er, wie Zeitgenossen berichteten, mitunter einen ganzen „Silva Fictorum“ (Wald von Gepfählten) aufstellte, ist mehr als unwahrscheinlich: Das Pfählen war eine „exklusive“ Tötungsart, bei welcher der Aufgespießte möglichst lange leben sollte, um möglichst großen Schrecken einzuflößen.
Man sollte den ganzen Dracula als sprachliche Kniffligkeit auffassen – beginnend mit dem Knoblauch, der angeblich Vampire abwehrt. Knoblauch heißt rumänisch usturoi, vermutlich eine Ableitung von dem Verb ustura (jucken, beißen) - eine Um-drei-Ecken-Reminiszenz an die Bisse der Vampire.
Der für seine Zeit sehr gebildete und polyglotte Vlad III. pflegte seine Briefe gelegentlich als „Dragulea“ zu unterzeichnen. Das kann ein Anklang an die Großfamilie der Dragulii sein, der er entstammte, oder es war eine Spielerei . Drac heißt, wie erwähnt, „Teufel“ – aber Drag heißt „Lieber“…
Ende