Estland

Der Vater der estnischen Unabhängigkeit ist tot

Berlin (n-ost) - Einer der profiliertesten Politiker des Baltikums ist tot: Am Dienstagmorgen starb im Alter von 76 Jahren Lennart Meri nach langer, schwerer Krankheit. Meri war von 1992 bis 2001 Präsident Estlands. Er hatte wesentlichen Anteil an der Wiedererlangung der Unabhängigkeit des kleinen Landes von Moskau. Ohne Umschweife gilt er als der Vater eines freien und demokratischen Estlands.

Der am 29.03.1929 in Tallinn geborene Meri war Sohn eines Diplomaten und wuchs in verschiedenen Ländern auf. Von 1934 bis 1938 lebte die Familie in Berlin. Hier besuchte Meri eine Schule für Diplomatenkinder im Bezirk Tiergarten und lernte fließend Deutsch. Die Annexion Estlands durch Stalins Truppen erlebte Meri in Tallinn. Wie zehntausende Esten, Letten und Litauer wurde Meris Familie 1941 in ein sibirisches Straflager deportiert, dort schlug sich der 12-Jährige als Waldarbeiter durch.

Nach der Rückkehr ins nun sowjetische Estland wurde Meri Historiker, durfte diesen Beruf aber nicht ausüben und arbeitete deshalb als Dramatiker, Journalist und Übersetzer englischer, französischer, russischer und deutscher Werke ins Estnische. Darunter waren so bekannte Schriftsteller wie Erich Maria Remarque, Graham Green und Alexander Solschenizyn. Bekannt wurde Meri in Estland vor allem als Dokumentarfilmer und Schriftsteller, der entlegene Gebiete der Sowjetunion erkundete.

Meri gehörte in dem mit 1,2 Millionen Einwohnern kleinen Estland zu Sowjetzeiten zu den prägenden Intellektuellen, die in ihren Schriften und Filmen die estnische Sprache und Kultur bewahrten.

Den Weg in die Politik fand Meri über die Umweltschutzbewegung. Er engagierte sich gegen den sowjetischen Plan, in Estland Phosphorit abzubauen, was große Teile des Landes verwüstet hätte. In der Zeit von Glasnost und Perestroika wurde Meri zum Vorkämpfer in der so genannten singenden Revolution. Die estnische Tradition, mit patriotischen Liedern sich von der Moskauer Knute zu befreien, spielte bei den damaligen Kundgebungen eine bedeutende Rolle.

In Folge der ersten freien Wahlen war Meri zwischen 1990 und 1992 Außenminister Estlands.
Nach einer kurzen Amtszeit als Botschafter im benachbarten Finnland wurde er 1992 zum Präsidenten gewählt und 1996 für eine zweite Amtszeit bestätigt, die 2001 endete. Meri zählte neben dem Tschechen Vaclav Havel zu den „Dichterpräsidenten“ und profilierte sich als international geschätzter Anwalt der ost- und mitteleuropäischen Staaten beim Integrationsprozess in die Europäische Union (EU) und Nato. 1998 wählte ihn eine französische Zeitschrift zum „Europäer des Jahres“.

Kenner bewunderten an Meri dessen Bildungsreichtum. Er war witzig und schlagfertig und das auch in der deutschen Sprache, die nicht seine Muttersprache war. Mehrfach besuchte er Deutschland und Berlin. Anlässlich des 5. Jahrestags der Deutschen Wiedervereinigung hielt er 3.10.1995 in Berlin eine viel beachtete Festrede. Der Fall der Berliner Mauer und die Befreiung Estlands waren für untrennbare Ereignisse: „Zweifellos ist die Freiheit eine Pflicht, aber auch eine Herausforderung, die sowohl die Deutschen als auch die Esten betrifft.“

Nach dem Tod Lennart Meris erklärte der jetzige estnische Präsident Arnold Rüütel den heutigen Mittwoch zum nationalen Trauertag: „Seine Arbeit half, die estnische Identität zu sichern und zu stärken in Zeiten, als ein feindliches, totalitäres Regime herrschte“, sagte Rüütel im Fernsehen. „Die Nation wird Meri als große Persönlichkeit erinnern“.

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