Polen

Deutschland ist Kaczynski fremd

Berlin/Warschau (n-ost) – Von Deutschland kennt Polens Präsident Lech Kaczynski bisher eigentlich nur den Frankfurter Flughafen – vom Umsteigen in eine andere Maschine. In einem Interview räumte der 56-Jährige ein: „Ich habe viele europäische Staaten bereist, nur Deutschland noch nicht.“ Erst diesen Mittwoch und Donnerstag holt Kaczynski dies mit einem Berlinbesuch nach. Das Programm lässt allerdings kaum Platz für Sightseeing. Im Mittelpunkt stehen die Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler sowie eine Rede an der Humboldt-Universität zum Thema „Solidarisches Europa“.

Nicht ohne Grund mied Kaczynski Deutschland bisher sowohl privat als auch als Präsident. Sein Misstrauen gegenüber dem Nachbarland sitzt so tief, dass er es vor seiner Wahl im Oktober als die „größte Gefahr“ neben Russland bezeichnete. Geprägt hat ihn seine Kindheit in dem von Deutschen im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörten Warschau. Sein Vater Rajmund, der beim Warschauer Aufstand 1944 verwundet wurde, starb früh.

Kaczynski brüstete sich sogar vor einiger Zeit damit, keinen Kontakt zu deutschen Politikern zu haben. Tatsächlich ließ er im vergangenen Spätsommer als damaliger Warschauer Oberbürgermeister ein Gesprächsangebot Köhlers bei dessen Polenbesuch einfach unbeantwortet.

Auch bei Merkels Antrittsbesuch Anfang Dezember in Warschau kam es zu einem kleinen Affront. Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw, der die Regierungs- und Präsidentenpartei Recht und Gerechtigkeit führt, sagte sein geplantes Treffen mit der Kanzlerin sehr kurzfristig ab. Ihn störte, dass sie sich auch mit Oppositionsführer Donald Tusk von der CDU-Partnerpartei Bürgerplattform treffen wollte. Zu einem Fiasko geriet schon Anfang der neunziger Jahre eine Begegnung von Jaroslaw mit Helmut Kohl in Bonn, bei dem er mit Parolen gegen Kommunisten den damaligen Bundeskanzler für seine neue polnische Partei begeistern wollte. Die späte Folge: „Recht und Gerechtigkeit“ gehört nun im Europaparlament nicht dem Lager der Christdemokraten an, sondern bildet mit rechtsradikalen Parteien wie der italienischen Alleanza Nazionale eine Fraktion.

Auf Konfrontationskurs mit Deutschland geht Lech Kaczynski inzwischen auch verbal nicht mehr. Als Präsident betont er immer wieder: „Ich habe nichts gegen die Deutschen. Ich bin ein Freund der Deutschen.“ Besonders die klassische Musik bewundere er am Nachbarland. Er wünsche sich enge Beziehungen zwischen Berlin und Warschau. Auch Merkel macht er Komplimente und nennt sie „eine sehr sympathische Frau“. Das ändert freilich nichts an seiner unmissverständlichen Ablehnung des in Berlin geplanten „Zentrums gegen Vertreibungen“ und der Erdgas-Pipeline von Russland nach Deutschland, die an Polen vorbei durch die Ostsee verlegt werden soll. Beide Neins waren schon immer Konsens unter allen polnischen Parteien.

„In Berlin wächst die Frustration über Warschau“, analysierte am Montag die Gazeta Wyborcza die deutschen Probleme mit dem neuen Präsidenten. So käme etwa Lech Kaczynskis Satz schlecht an, es läge im polnischen Interesse, Paris vor Berlin zu besuchen. Seine Reiseprioritäten unterscheiden sich ohne Zweifel: Während sich Merkel kurz nach Regierungsantritt nach Warschau aufmachte, steht Berlin auf Kaczynskis Reiseliste erst hinter dem Vatikan, den USA, Tschechien, Frankreich und der Ukraine.

Kaczynskis Amtsvorgänger, dem Sozialdemokraten Aleksander Kwasniewski, waren die Beziehungen zum Nachbarland viel wichtiger. Er kam in seinen zehn Jahren als Staatschef sogar 35mal nach Deutschland.


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