Bosnien-Herzegowina

Weiterer kleiner Schritt nach vorn

Sarajevo (n-ost) - Es kehrt keine Ruhe ein in das Leben von Jasmina Zbanic. In den vergangenen Tagen durchlief die zweiunddreißigjährige Regisseurin einen Marathon an Interviews und öffentlichen Empfängen, stets begleitet von filmbegeisterten Einwohnern der bosnisch-hercegovinischen Hauptstadt. Auf dem Flughafen von Sarajevo wurde Zbanic stürmisch empfangen. Und nun dieser Andrang zur Filmpremiere von Grbavica in der riesigen ehemaligen Olympiahalle ‚Zetra’. Etwa 4500 Zuschauer werden gezählt. Sie sei sprachlos, so die Regisseurin.

Die Filmpremiere fiel genau auf den Unabhängigkeitstag des noch jungen Landes - einer der wichtigsten Nationalfeiertage, der im bosnisch-hercegovinischen Landesteil öffentlich zelebriert, in der serbischen Teilrepublik hingegen kaum beachtet wird. Das Stelldichein der gesamten politischen und kulturellen Elite des Landes sowie fast aller ausländischen Vertreter zur Filmvorführung steht dann auch im deutlichen Kontrast zur Absage der geplanten Premiere in Banja Luka, der Hauptstadt der serbischen Teilrepublik.

“Ich bin sehr traurig deswegen. Die Zusage wurde wegen Reaktionen aus Belgrad wieder zurückgezogen“, teilte Zbanic gestern den anwesenden Journalisten mit. Die Filmemacherin betonte zugleich, dass die Premiere in Serbien-Montenegro, die für den 06. März geplant ist, bislang noch nicht abgesagt worden ist.

Die Veranstalter bemühten sich gestern Abend, die internationale und multiethnische Dimension der Produktion und der Beteiligten zu betonen. ‚Grbavica’ wurde von der Moderatorin als deutsch-kroatisch-bosnien-hercegovinische und österreichische Co-Produktion vorgestellt. Die Bürgermeisterin der Stadt, Semiha Borovac, bedankte sich besonders herzlich bei der serbischen Hauptdarstellerin Mirjana Karanovic dafür, dass sie auch in schwierigen Zeiten immer zu Sarajevo gehalten habe.

Auch das Rahmenprogramm, der Auftritt der bekannten Musikgruppe ‚Mostar Sevdah Reunion’, die aus Serben, Bosniern und Kroaten besteht, unterstrich die multikulturelle Selbstwahrnehmung der Stadt.

Die landesweiten Vorführungen von Grbavica dienen auf Initiative von Jasmila Zbanic auch dazu, Spendengelder zur finanziellen Unterstützung der etwa 22 000 im Krieg vergewaltigten Frauen zu sammeln. Der Erlös aus dem Verkauf von 2000 Premierekarten fließt direkt in eine Kampagne mit dem Titel „Für die Würde der Überlebenden“. ‚Grbavica’ steht somit in der Kontinuität des auch international höchst erfolgreichen und Identität stiftenden bosnischen Kinos, das sich auf vielfältige Weise den traumatischen Kriegserfahrungen nähert.

Im Gegensatz zu Danis Tanovics Film ‚Niemandsland’, der 2002 mit dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet wurde, endet Grbavica ausgesprochen versöhnlich. Der Konflikt der Mutter, ihr heranwachsendes Kind mit der Wahrheit zu konfrontieren oder weiterhin zu behaupten, sie sei die Tochter eines ‚Schehid’, eines gefallenen bosnischen Kriegshelden, wird jenseits von stereotypen nationalen Schuldzuweisungen erzählt. Weder handelt es sich bei der Charakteren des Films um ‚die Serben’ noch um ‚die Bosnier’.

Wenn überhaupt, so kann von einer stillen Kritik an der männerdominierten Gesellschaft gesprochen werden. Ethnische Zuschreibungen geraten in den Hintergrund, weil es Zbanic gelingt, glaubwürdig zu vermitteln, das es stets reale Menschen und keine abstrakten Nationalitäten sind, die sich im kriegsgeschädigten Sarajevo begegnen.

Auch wenn in der riesigen Sporthalle angesichts des schwierigen Themas und der Weite des Raumes keine ausgelassene Jubelstimmung aufkam – ‚Grbavica’ stellt einen weiteren kleinen Schritt in der Auseinandersetzung mit der traumatischen Kriegserfahrungen Bosniens dar.

Der Film ist nicht zuletzt auch eine Hommage an das ‚Jerusalem des Ostens’, wie Sarajevo gerne genannt wird. Selten wird dies so deutlich wie während des Abspanns, wenn das Lied „Sarajevo – meine Liebe“ des populären jugoslawischen Schlagersängers der siebziger Jahre, Kemal Montenos, erklingt. So mancher Zuschauer in der riesigen Halle kam gestern Abend nicht umhin, das in der Stadt allen bekannte Lied leise mitzusingen.

So endet der Abend mit einer Liebeserklärung an Sarajevo und zeigt deutlich, dass ‚Grbavica’ auch ein Film über die Sehnsucht nach einem Sarajevo jenseits der alles bestimmenden ethnisch-religiösen Grabenkämpfe ist, in der ein Neuanfang möglich erscheint.


ENDE



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