Bosnien-Herzegowina

Das wahrscheinlich längste Auto der Welt

Belgrad (n-ost) – „Macht den Trabi so billig, wie er aussieht“ – lautete eine viel belachte Parole auf der Ost-Berliner Großdemonstration vom 4. November 1989. Trotz derartiger Scherze besitzt der „Trabant“ selbst 15 Jahre nach Einstellung der Produktion im Osten Europas eine treue Anhängerschar. Im inzwischen in fünf Nachfolgestaaten zerbrochenen Jugoslawien sind „Trabant“ und „Wartburg“ sogar zu Kultobjekten geworden, an denen sich über Grenzen hinweg eine gemeinsame Identität festmachen lässt.

Wenn ein Südslawe von einem „Cudo“ spricht, dann will er entweder von einem „Wunder“ berichten, oder ein „Wartburg“ hat gerade seinen Weg gekreuzt. Wie es zu dieser Namensgleichheit kam, erklärt der Serbe Marko: „Als es im letzten Krieg kein Benzin gab, da lief der Wartburg mit allem, was man in ihn hineinkippte: Schnaps, Alkohol, Diesel – das Cudo war nicht umzubringen, es lief immer weiter“. Marko steht mit seiner Begeisterung für ostdeutsche Ingenieurskunst nicht alleine da. Sehr liebevoll erinnert sich etwa Branko an das charakteristische Anlassgeräusch des Wartburg: „Das Cudo machte tok-tok, wenn es in Gang kam“. Quatsch, erwidert Marion, denn „wenn es erst lief, machte es nicht tok-tok, sondern rin-tin-tin, und so hat man ihn allgemein genannt“. Mit individuellen Ausnahmen, fügt Johny hinzu: „Mein Nachbar nannte seinen WARTBURGINI“.

Was wie eine Spielerei daherkommt, hat einen ernsten Hintergrund. Ähnlich wie die DDR ist Jugoslawien ein Land, das auf keiner Karte mehr zu finden ist. In ihrem jüngsten Roman „Das Ministerium der Schmerzen“ (2004) berichtet die in Kroatien geborene, aber inzwischen in die Niederlande ausgewanderte Schriftstellerin Dubravka Ugresic von deprimierenden Erfahrungen mit ex-jugoslawischen Stundenten in ihrer neuen Heimat: „Jugoslawen“ sind sie nicht mehr, Staatsangehörige neuer Balkan-Staaten möchten sie nicht sein, die Integration in Westeuropa fällt ihnen schwer, da sie zu viele „balkanische“ Gewohnheiten mit sich tragen – tragische Schicksale derer, die überall sind und nirgendwo hin gehören.

Um dieser Identitätssuche einen Platz zu geben, initiierte die Schriftstellerin bereits 1996 ein „Lexikon der jugoslawischen Mythologie“. Anfangs wurde das Projekt von Studenten mit politischem Ernst betrieben, die ersten Einträge galten etwa dem verstorbenen Staatschef Tito und seinen Partisanen. Doch dann gewann das Lexikon witzig-ironische Züge und wurde zum „Geheimtipp“ unter denen, die sich ihrer jugoslawischen Biographie und ihrer alten Heimat nicht schämten.

Inzwischen ist das Lexikon im Internet (www.leksikon-yu-mitologije.net/kategorija.php?id=19) und jeder kann es fortschreiben. Was dabei herauskommt, ist lesenswert, auch für Deutsche. Nicht nur, weil die liebevollsten Einträge in der Rubrik „auto-moto“ den jugoslawischen Mythen „Wartburg“ und „Trabant“ gelten. Beide sind zu einem Stück jugoslawischer Heimat geworden:
„Die Rede ist von einem Auto ostdeutscher Produktion, mit Zweitakt-Motor. Im Unterschied zu anderen sozialistischen Autos war es ziemlich groß, so viereckig, mit riesigem Kofferraum, den man günstig nutzte, wenn man von Besuchen bei Verwandten im Dorf zurückkam – Hühnchen, Eier, halbes Schwein, Würste, Schnaps, alles hatte in diesem unverwechselbaren Blechkasten Platz“.

Das „längste Auto der Welt“ sei der „Wartburg gewesen, weiß ein Chat-Teilnehmer zu berichten: „Cetiri metra lima, pet metri dima“ – Vier Meter Blech, fünf Meter Qualm. Ein anderer Eintrag betont die simple Handhabung: „Nach längerem Parken musste man ihn etwas rütteln, weil er mit irgendwelchem Gemisch fuhr. Besitzer besserer Autos erdachten deshalb einen Slogan für den Wartburg: Vor Gebrauch schütteln!“ Völlig egal, teilt Boban mit: „Mein alter Wartburg ist 500.000 Kilometer ohne jede Generalüberholung gelaufen. So war er. Wo gibt es so etwas noch?“ Derselben Meinung sind auch andere, die das „Mythen-Lexikon“ mit Gedichten, Liedern und Songs über den Wartburg füllten.

Der kleinere „Trabant“ hat es auf dem Balkan sogar zu Filmruhm gebracht. Der berühmte Regisseur Emir Kosturica hatte vor Jahren in seinem Film „Schwarze Katze, weißer Kater“ eine Szene, in der Schweine eine Trabi-Karosse auffressen – was das Image dieses Autos nachhaltig prägte. 1993 kam eine serbische Pop-Gruppe mit dem Lied „Blu Trabant“ heraus, eine umwerfende Schilderung dessen, was man mit einem Trabi alles anfangen kann: „Musikanten sind zwar verrückt, aber keine Dummköpfe/ Die Popularität des Trabant stieg, der Mercedes-Verkauf ging zurück/ Wir sind mit dem Trabant auf viele Tourneen gefahren/ Die Karre voller Musiker, Bierkästen und Würste“. Die weiteren Verse - was man mit Groupies nach dem Konzert auf der hinteren Sitzbank anstellte - waren vielleicht nicht ganz jugendfrei, aber ganz gewiss ein großes Kompliment für den Kleinen vom Zwickauer Sachsenring.

„Trabifahrer sind die härtesten“, besagte ein stolzer Aufkleber aus DDR-Zeiten. Auch Balkanische Trabi-Fahrer zählen sich zur Elite. Ende 2005 legte sich sogar der international erfolgreiche Musiker Goran Bregovic einen Trabant zu – der beliebte „Brega, der nicht weiß, wo er mit seinem Geld hin soll, kauft sich einen Trabant“, jubelte daraufhin die Lexikon-Gemeinde. „Was blieb ihm übrig“, meint Angus trocken: „Seine teuren Autos hat man ihm immer geklaut, jetzt hat er einen Trabant, den klaut niemand.“

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