„Wir brauchen einen zweiten Lukaschenko“
FRAGE: Herr Chaschewatzkij, Sie gelten zwar als ein scharfer Kritiker des heutigen Regimes, betrachten jedoch auch die Handlungen der weißrussischen Opposition sehr kritisch. Warum?
CHASCHEWATZKIJ: Zunächst möchte ich sagen: Vor unserer Opposition nehme ich den Hut ab. Doch es fehlt ihr an finanziellen Mitteln und am Zugang zu den Massenmedien. Außerdem arbeiten sie oft ohne ein klares Verständnis dafür, dass unsere Durchschnittsbürger mit klugen politischen Programmen gar nichts anfangen können. Das Wort Demokratie ist für die meisten von ihnen eine leere Hülle. Viele Weißrussen verstehen seit dem Zerfall der Sowjetunion unter „Demokratie“ schlichtweg das Chaos.
FRAGE: Was, wenn nicht die politischen Programme, sind dann für die weißrussischen Wähler entscheidend?
CHASCHEWATZKIJ: Unsere Wähler neigen dazu, die Kandidaten nicht nach deren Programmen zu bewerten, sondern nach ihrem Charisma. Deshalb behaupte ich: Einen genialen Populisten wie Lukaschenko kann nur ein zweiter Lukaschenko besiegen. Ein Mensch, der genauso gekonnt und zynisch lügt wie der jetzige Präsident.
FRAGE: Bekanntermaßen richtet sich Lukaschenkos Politik vor allem gegen weißrussische Patrioten. Warum?
CHASCHEWATZKIJ: Weil sie für ihn automatisch Oppositionelle sind. Bei Massenkundgebungen und Protestaktionen werden vor allem die verhaftet, die weißrussisch sprechen. Lukaschenko ist eben ein typischer Vertreter der alten sowjetischen Nomenklatura. Der Zusammenbruch der Sowjetunion war für ihn unerträglich. Sein Ziel ist die Wiederbelebung der Sowjetunion – unter der Bedingung, dass er deren Chef wird.
FRAGE: Trotzdem ist in den breiten Schichten der weißrussischen Bevölkerung die Unterstützung für Lukaschenko nach wie vor groß. Manche Experten sprechen sogar von über 50 Prozent Lukaschenko-Anhängern. Warum ist der heutige Präsident Ihrer Meinung nach so schlecht für Belarus?
CHASCHEWATZKIJ: Er ist ein Verhängnis, weil er die nationale und intellektuelle Elite unseres Landes vernichtet. Von der Wirtschaft ganz zu schweigen. Wenn Russland morgen seine Hilfen einstellen würde, wäre die weißrussische Wirtschaft im Nu vernichtet, denn sie basiert nur auf Zuschüssen aus Russland. Unterm Strich betrachtet ist unter Lukaschenko Belarus stehen geblieben, hat sogar einige Schritte rückwärts gemacht.
Lukaschenko profitiert von der Spaltung unseres Landes: einer Spaltung zwischen Arbeitern, Bauern und den Intellektuellen. Doch inzwischen spüren viele intuitiv, dass etwas nicht stimmt mit ihrem Land. Dass Lukaschenko keine Lösung sein kann.
FRAGE: Woran arbeiten Sie derzeit?
CHASCHEWATZKIJ: An einem neuen Film, der „Proben“ heißt. Er handelt von gesellschaftlichen Rollenzuweisungen. Davon, wie leicht Menschen zu Henkern und Opfern gemacht werden können und sich damit auch identifizieren.
FRAGE: Ist es auch eine Art Appell an Ihre Landsleute, die Weißrussen?
CHASCHEWATZKIJ: Ja, ich werde in meinem Film auch auf die Weißrussen zu sprechen kommen.
FRAGE: Für wen ist dieser Film bestimmt?
CHASCHEWATZKIJ: Zunächst für mich. Ich mache alle meine Filme für mich. Und dann schauen wir mal.
*** Ende ***
--------------------------------------------------------------------------------------------------
Wenn Sie einen Artikel übernehmen oder neu in den n-ost-Verteiler aufgenommen werden möchten, genügt eine kurze E-Mail an n-ost@n-ost.org. Der Artikel wird sofort für Sie reserviert und für andere Medien aus Ihrem Verbreitungsgebiet gesperrt. Die Honorierung der Artikel und Fotos erfolgt nach den marktüblichen Sätzen. Das Honorar überweisen Sie bitte mit Stichwortangabe des Artikelthemas an die individuelle Kontonummer des Autors.
Angaben zur Autorin:
Name der Autorin: Tatjana Montik
2 Belegexemplare bitte unbedingt an:n-ost/ Schillerstr. 57/ 10627 Berlin