Ukraine

„Wir müssen den Preis für die Krim hochtreiben“

n-ost: Wie sehen Sie derzeit die Lage der Krimtataren?

Ilmi Umerow: Wir sind die einzige politisch organisierte Kraft auf der Krim, die die Annexion durch Russland nicht anerkennt. Die Behörden versuchen, das Volk der Krimtataren in einem Zustand ständiger Angst zu halten. Es gibt Razzien und Strafverfolgungen. Mehr als 20 Krimtataren sind seit der Annexion spurlos verschwunden, zehn wurden ermordet.

Zuletzt haben die russischen Behörden den Medschlis, das Parlament der Krimtataren, in dem Sie auch vertreten sind, als extremistische Organisation verboten. Wie reagieren Sie?

Umerow: Wir haben das leider vorhergesehen und deswegen schon im Februar beschlossen, dem Vorsitz des Medschlis alle Vollmachten zu übertragen. Wenn es für die 33 Mitglieder des Medschlis unmöglich wird, sich zu versammeln, dann wird der Vorsitzende Refat Tschubarow in Kiew die Entscheidungen im Alleingang treffen. Da der Medschlis die Vertretung für alle Krimtataren ist, sind wir nur noch einen Schritt von der Behauptung entfernt, das gesamte krimtatarische Volk sei extremistisch.

Hängt das nicht auch mit der Energie-Blockade zusammen, die die Krimtataren im Winter durchgesetzt haben? Damals haben Aktivisten Strommasten gesprengt und somit die zwei Millionen Krimbewohner von der Stromversorgung abgeschnitten.

Umerow: Ich habe die Blockade vom ersten Tag an unterstützt. Ziel der Aktion war es, den Aggressor, der unser Land besetzt hat, zu bestrafen. Als Resultat hat Kiew den Warenfluss mit dem besetzten Gebiet beendet und liefert seit Januar 2016 auch keinen Strom mehr – das ist die Errungenschaft dieser Aktion. Russland muss jetzt den Strom über Gas- oder Benzingeneratoren gewinnen, was zehn Mal mehr kostet als die Verbraucher zahlen. Auf diese Weise treiben wir den Preis hoch, den Russland für die Krim zahlen muss.

Die Blockade haben die Krimtataren gemeinsam mit dem radikalen ukrainischen „Rechten Sektor“ durchgeführt. Das hat den Krimtataren auch international Sympathien gekostet.

Umerow: Ich denke nicht, dass wir Sympathien verloren haben. Im Gegenteil. Durch die Blockade ist die Krim wieder in die Schlagzeilen gekommen.

Der ukrainische Präsident Poroschenko hat zuletzt einen „Dienst für die De-Okkupation der Krim“ geschaffen, der unter anderem eine Strategie für die Rückführung der Krim ausarbeiten soll. Was erhoffen Sie sich davon?

Umerow: Es ist nicht vorrangig, eine Strategie auf dem Papier zu haben, sondern Russland zum Verhandlungstisch zu bringen. Nur harte ökonomische Sanktionen können Moskau dazu zwingen, der Ukraine etwas zurückzugeben. Wenn die Ukraine alleine Russland gegenüber steht, ist sie verloren. Eine kriegerische Rückführung der Krim schließen wir natürlich aus.

Zuletzt wurde in der Ukraine ein krimtatarisches Freiwilligenbataillon gegründet. Es gibt Befürchtungen, dass zu einer Radikalisierung der Krimtataren kommt. Sehen Sie diese Gefahr?

Umerow: Die nationale Bewegung der Krimtataren predigt schon seit Jahrzehnten gewaltlose Mittel. Niemand kann uns vorwerfen, dass wir diese Grenze jemals überschritten hätten. Außerdem muss jede Bewegung auf dem Festland in die Strukturen der ukrainischen Streitkräfte integriert werden.

Sie sind einer der wenigen krimtatarischen Politiker, die öffentlich über den Druck gegen die Krimtataren sprechen und noch auf der Krim leben. Leiden auch Sie persönlich unter Repressionen?

Umerow: Nach der Annexion bin ich von meinem Amt als Leiter der Regionalverwaltung von Bachtschyssaraj zurückgetreten. Meine Frau hat ihr Geschäft verloren, weil sie keine Räumlichkeiten mehr anmieten konnte. Zwei meiner Kinder sind mittlerweile arbeitslos. Auch meinen beiden Brüdern wurde jetzt gedroht, dass sie ihre Unternehmen verlieren werden.

Angesichts der Lage: Haben Sie vor, auszureisen?

Umerow: Nein. Ich bin der Meinung, dass wir ein Volk der Krim sind. Wir werden weiterhin dafür kämpfen, dass die Krim in den Verbund mit der Ukraine zurückkehrt. Wir werden alles ertragen.


Zur Person:

Ilmi Umerow (58) ist einer der letzten Krimtataren-Politiker, der noch auf der Krim lebt und offen über die Repressionen gegen die Krimtataren spricht. Er wurde in der usbekischen Verbannung geboren. Nach seiner Rückkehr auf die Krim besetzte der studierte Arzt einige politische Ämter, so als Vize-Premier der Krim-Regierung (1994 bis 1997). Ab 2005 leitete der die Regionalverwaltung von Bachtschyssaraj, 30 Kilometer von Simferopol entfernt. Aus Protest gegen die Annexion der Krim trat er 2014 von dieser Position zurück. Umerow ist Abgeordneter des Medschlis, der politischen Vertretung der Krimtataren.

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Quellen:

Skype-Interview mit Ilmi Umerow

Offizielle Seite des Medschlis
http://qtmm.org/en

Verbot des Medschlis
http://www.rferl.org/content/russia-crimea-tatar-mejlis-suspended-extremist/27682394.html

Gründung eines krimtatarischen Battailons in der Ukraine (Russisch)
http://zn.ua/UKRAINE/krymskie-tatary-sformirovali-batalon-no-po-prezhnemu-verny-principu-nenasiliya-209677_.html


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