Nachts in den Gruben
Jetzt soll also auch noch Gold unter der Erde von Walbrzych liegen! Roman Janiszek schüttelt ungläubig den Kopf. „Das einzige Gold, das es hier gibt, ist schwarz und wird zum Heizen verwendet“, schmunzelt der sonst eher wortkarge 57-jährige. Seit zwei Männer, ein Deutscher und ein Pole, über ihren Anwalt verlautbaren ließen, sie hätten einen sagenumwobenen Nazi-Zug voller Gold gefunden, hat sich die beschauliche Kleinstadt in ein wahres Mekka für Schatzsucher verwandelt. Gegraben wird in Walbrzych, dem ehemaligen deutschen Waldenburg, allerdings schon seit langem – bislang nicht nach Gold, sondern nach Kohle.
Einst galt die Stadt in Niederschlesien als das Zentrum des Bergbaus in Polen. Doch bereits in den 1980er Jahren wurden viele Werke unrentabel und mussten schließen. Der Übergang von Plan- zur Marktwirtschaft beschleunigte den Auflösungsprozess und so verlor auch Roman Janiszek neben tausenden anderen in den 1990er Jahren seinen Arbeitsplatz in den Gruben.
Danach wurde er, wie viele seiner früheren Kumpel, zu einem „Kohlespecht“. So werden die illegalen Kohlegräber genannt, die nach der Schließung der Zechen anfingen, selbstständig Kohle abzubauen. Ihre Arbeit ist verboten, für den Staat sind sie Kriminelle, die mit allen Mitteln verfolgt werden. Nacht für Nacht ziehen die Männer, ausschließlich mit Spaten und Spitzhacke ausgerüstet, dennoch los, um in den Wäldern um Walbrzych nach Kohle zu graben.
Alte, deutsche Stollen
„Wir arbeiten nach demselben System wie früher beim industriellen Bergbau“, sagt Janiszek und erläutert die genaue Vorgehensweise. Zunächst wird ein Schacht in die Tiefe gegraben, solange bis eine Kohleader entdeckt wird. Dann wird horizontal unter Tag weitergegraben. „Wir sind bei unseren Grabungen immer wieder auf alte deutsche Stollen gestoßen“, erzählt Janiszek.
Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde von den Nationalsozialisten ein breit angelegtes Stollensystem unter Waldenburg geschaffen. Während die meisten Gänge gerade mannshoch waren, sollen andere sogar mit der nahe gelegenen Bahnstrecke verbunden worden sein. Genau dort wird nun der Zug voll mit Gold und Kunstwerken vermutet. Viele der Tunnel wurden nach dem Krieg gesprengt, andere blieben erhalten und wurden teilweise sogar von Obdachlosen bewohnt.
„Sobald wir auf einen alten deutschen Stollen treffen, müssen wir aufhören zu graben, da das Risiko eines Einsturzes zu groß ist“, sagt Janiszek. Tatsächlich passieren in Walbrzych immer wieder tödliche Unfälle. „Acht Menschen kamen letztes Jahr beim Kohlegraben in den Minen ums Leben“, erzählt Janiszek weiter.
Morsche Pfeiler, lockeres Erdreich
Niederschlesien gilt als das Armenhaus Polens und hat die höchste Arbeitslosenrate des Landes, obwohl sich mittlerweile auch industrielle Betriebe in der Nähe angesiedelt haben. Für viele Menschen ist es lukrativ, illegal Kohle abzubauen und diese weit unter dem Marktpreis an Endverbraucher zu verkaufen. „Die Qualität der Kohle ist einfach hervorragend“, schwärmt Janiszek und zeigt ein glitzerndes Kohlestück in seiner Hand. „Seit über 500 Jahren wird in Walbrzych gegraben. Solange es Kohle gibt, wird sie jemand abbauen.“
Doch die Arbeit hat einen gravierenden Haken: Da die Kohlespechte als Kriminelle gelten, werden sie von der Polizei verfolgt. Die Politik hat das Problem bislang ignoriert und spricht offiziell sogar davon, dass es in Walbrzych gar keine „Armenstollen“ gibt. Die Kriminalisierung der ehemaligen Kumpel hat Roman Jansizek dazu bewogen, das „Komitee zur Verteidigung der Armenschächte“ zu gründen. Seit 2004 setzt er sich für die Legalisierung und Reglementierung der Tätigkeit ein. Dafür musste er bereits einige Male ins Gefängnis oder Bußgelder bezahlen.
Wirkung haben die Verbote der Polizei bislang nicht gezeigt. Die Kumpel arbeiten ausschließlich in der Nacht, weil die Ordnungshüter dann seltener kontrollieren. Roman Janiszek, der selbsternannte Advokat der Armengruben, trifft bei seinen nächtlichen Grabungen auch immer öfter auf junge, unerfahrene Kohlespechte. „Die Jungen kriechen meist in alte Stollen und versuchen dort noch etwas Kohle abzubauen“, erzählt Janiszek. Doch in vielen dieser Gruben sind die Stützpfeiler morsch und das Erdreich locker. Schnell kann es so, in mehr als zehn Metern Tiefe, zur Katastrophe kommen.
Wälder voller Löcher
„Sobald man unter die Erde schlüpft, geht man ein Risiko ein, nicht mehr herauszukommen“, weiß Janiszek. Er selbst vermisst die Zeit als Bergbauarbeiter. Seine alte, elegante Paradeuniform zieht Janiszek nur mehr einmal im Jahr an – nämlich dann, wenn die alten Bergwerkskumpel am 4. Dezember der Heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, gedenken.
Das Erdreich in den Wäldern um Walbrzych ist mittlerweile voller Löcher. Sobald einer der Tunnel einstürzt, wird daneben ein neuer gegraben. Dass unter den Wäldern doch noch Stollen liegen, die so groß sind, dass ein ganzer Zug darin Platz hat, glaubt Roman Janiszek nicht. „Aber wer weiß das schon so genau. Vielleicht sollte ich auch anfangen, nach Gold zu graben“, scherzt er. „Vielleicht war alles auch nur ein gut durchdachter Werbegag.“
Hier finden Sie ein Interview mit Michael Biach.