Ukraine

Wird der Rechte Sektor zum Risiko?

Drei Tote, mehrere Verletzte und ausgebrannte Autos: Bilder wie diese prägen seit Monaten die Berichte aus der Ostukraine. Doch diesmal spielten sich die Szenen mehr als 1.000 Kilometer von der Front entfernt ab: Am vergangenen Wochenende kam es in der westukrainischen Stadt Mukatschewe zu schweren Zusammenstößen zwischen Sicherheitsleuten, der Polizei und den Milizen des rechtsnationalistischen „Rechten Sektors“.

Anlass war ein Treffen zwischen dem Kiewer Abgeordneten Michail Laino, seinen Sicherheitsleuten und freiwilligen Kämpfern des „Rechten Sektors“, bei dem es zu Schusswechseln kam. Die Kämpfer durchbrachen später einen Checkpoint der Polizei und verschanzten sich in einem Dorf vor der Mukatschewe.


Kiew braucht die Freiwilligen

Sofort tauchten verschiedene Interpretationen des Zwischenfalls auf. Der Konflikt sei Teil des Kampfes gegen korrupte Beamte aus Kiew, hieß es sogleich vom „Rechten Sektor“. Die Polizisten konterten, das Freiwilligenbataillon würde mit Waffengewalt versuchen, seinen Einfluss auf korrupte Geschäfte auszuweiten.

Die Ereignisse werfen ein Schlaglicht auf das Dilemma, mit dem Kiew schon seit Beginn des Ukraine-Krieges konfrontiert ist: Zu Beginn des Konflikts im Donbass waren es jene Milizen von Freiwilligen, die separatistische Kräfte zurückdrängen konnten. Das Vertrauen in Staat und Militär in der Ukraine ist generell gering, das Prestige der Freiwilligenbataillone als unbestechliche Kämpfer umso besser. Rund 10.000 Freiwillige sollen in etwa 50 Bataillonen auf der pro-ukrainischen Seite kämpfen. Je länger der Konflikt andauert, desto größer wird jedoch die Angst, dass diese Verbände selbst zum Sicherheitsrisiko für die Ukraine werden.

Vor allem der „Rechte Sektor“ und andere Formationen rufen wegen ihrer teils rechtsextremen Ideologie immer wieder Kritiker auf den Plan. Die Milizen sind zwar nicht jene brandschatzenden und mordenden Faschisten-Banden, wie sie die staatsnahen russischen Medien darstellen. Dennoch gibt es immer wieder Meldungen von Menschenrechtsverletzungen. Auch Amnesty International sprach zuletzt von „Kriegsverbrechen durch Freiwilligenbataillone.“


Kriminelle Banden sind das Hauptproblem

Der ukrainische Politologe Anton Schechowzow sieht ein weiteres Problem: „Die überwältigende Mehrheit der ukrainischen rechtsextremen Organisationen sind kriminelle Gangs, die eine radikale rechte Ideologie nutzen, um Mitglieder zu mobilisieren“, so Schechowzow in seinem Blog. „Der Vorfall von Mukatschewe scheint ein Beispiel für eine kriminelle Gruppe zu sein, die versucht, ein illegales Geschäftsfeld einer anderen kriminellen Gang zu entern.“ Zuvor war in den ukrainischen Medien über einen Machtkampf zwischen rivalisierenden regionalen Gruppen über die Vertriebswege zum Schmuggel über die nahe gelegene EU-Außengrenze spekuliert worden. Die Region Transkarpatien nahe der Grenze zu Rumänien, Ungarn, der Slowakei und Polen ist ein berüchtigter Umschlagsplatz für Zigarettenschmuggel.

Der Vorfall in Mukatschewe berührt einen weiteren heiklen Punkt: Praktisch alle freiwilligen Kampfverbände sind inzwischen in die Ukrainischen Streitkräfte integriert, heißt es aus dem Generalstab. Die „Nationalgarde“ des Innenministeriums wurde als Einrichtung gegründet, um ehemalige Maidan-Selbstverteidigungskräfte in offizielle Strukturen einzubinden. Einzig über den Status des „Rechten Sektor“ war bis zuletzt verhandelt worden. Die Kämpfer des „Rechten Sektors“ waren jedoch mit Maschinengewehren und Granatwerfern ausgestattet, was illegal ist. „Der Rechte Sektor unterläuft damit das staatliche Monopol für die Einsatz physischer Gewalt“, so Schechowzow weiter.


Eigentlich arbeiten beide Seiten zusammen

Dabei war man zwischen Kiew und dem „Rechten Sektor“ zuletzt um Kooperation bemüht: So war erst im April Dmytro Jarosch, Chef des „Rechten Sektors“, zum Berater des Generalstabs aufgestiegen, um den Kontakt zwischen Streitkräften und den Milizen zu verbessern. Aber selbst dann, wenn die Verbände in die offiziellen Strukturen der Streitkräfte eingebunden werden, sei das oft nur formal – und die alten Befehlsketten blieben de facto erhalten, so Kritiker. „Auf dem Papier sind alle Freiwilligen-Einheiten unter der Kontrolle des Ministeriums für Verteidigung oder Inneres“, schreibt Luke Coffey von der Heritage Foundation. „Aber auf dem Boden ist das keineswegs der Fall.“

Während Anhänger des „Rechten Sektors“ in Kiew für den Rücktritt des Innenministers Arsen Awakow auf die Straße gehen, hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko angekündigt, den „Rechten Sektor“ zu entwaffnen. Ob das gelingt, könnte zum Lackmustest darüber werden, ob man die Milizen nun eben unter Kontrolle bekommt – oder eben nicht, so Mark Galeotti von der New York University: „Wenn er es korrekt macht, könnte das demonstrieren, dass das neue Kiew stark und rechtschaffen ist. Wenn nicht, gleitet das Land weiter in Korruption und politische Inkompetenz ab. Es steht viel auf dem Spiel.“

Quellen:

Infos in der „Ukrainska Pravda“ (russisch)

Artikel Al Jazeera: http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/2015/04/ukraine-volunteer-battalions-maidan-150429115931151.html

Meldung über Battaillon „Tornado“: http://en.interfax.com.ua/news/general/274208.html


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