Ukraine

Mit dem Bus in den Krieg

Die Fahrkarte in den Krieg kostet 150 Hrywnja, also 7,64 Euro, Gepäck inklusive. Am Busbahnhof der ostukrainischen Metropole Dnjepropetrowsk wartet ein museumsreifer Kleinbus russischer Produktion auf Reisende, die ins umkämpfte Donezk wollen – und er ist ausgebucht.

Als sich der Bus langsam in Bewegung setzt und der Fahrer die Gänge ins Getriebe des schrottreifen Etalon hämmert, verschwimmen die Fragen, mit denen man sich tagelang zuvor beschäftigt hat. Das Stadtzentrum von Donezk sei sicher, hatten Kollegen erzählt.



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Die kugelsicheren Westen, eine Leihgabe der Kiewer Polizei, liegen jetzt im Rumpf des Busses verstaut. Da liegen sie gut, denkt man noch, während man von Schlaglöchern durchgeschüttelt wird.

Mit jedem Kilometer Richtung Donezk steigt die Anspannung. Kurz nach der Abfahrt hat mir meine Sitznachbarin noch einen Apfel angeboten und über ihren Job in der Buchhaltung erzählt. Jetzt starrt sie auf ihr Tablet, auf dessen Bildschirm sie in der gleißenden Sonne garantiert nichts mehr erkennen kann. In ihrem Brillenetui hat sie eine kleine ukrainische Nationalflagge versteckt: „Da suchen die Separatisten bestimmt nicht“, sagt sie trotzig.

Hinter den beschlagenen Scheiben rasen die Ebenen des Donbass vorbei. Die Sonnenblumenfelder, die vor vier Monaten nach dem Abschuss des Fluges MH17 überall im Fernsehen zu sehen waren, sind längst abgeerntet.

Beim letzten Stopp in Krasnoarmejsk, nur 30 Kilometer vor der Einfahrt in die entmilitarisierte Pufferzone, ermahnt mich der Busfahrer, ich solle jetzt endlich meine Kamera wegpacken. Entlang der Strecke seien überall Scharfschützen postiert. Für ihn stellen ausländische Fotoreporter unnütze Sicherheitsrisiken dar.

In Krasnoarmejsk stehen auch andere Busse zur Abfahrt nach Donezk bereit. Paare umarmen sich, eine Frau und ihre zwei Kinder blicken einem Mann sorgenvoll hinterher, als er einsteigt. Der Abschied fällt hier besonders schwer. Meine männlichen Reisegefährten verzichten jetzt auf ihre ostentativ gute Laune. Sie stehen vereinzelt auf dem Vorplatz und rauchen.

Die ukrainischen Checkpoints passieren wir ohne Probleme. Die Soldaten haben blaugelbes Klebeband um ihre Waffen gewickelt, als Selbstvergewisserung in Zeiten des Krieges. Es beginnt zu schneien. Gerippe von abgeknickten und verkohlten Strommasten erinnern daran, dass wir den Frieden nun endgültig hinter uns gelassen haben.

Am Kontrollpunkt der pro-russischen Separatisten versperrt ein völlig zerschossener Reisebus die Hälfte der Straße. Alle Scheiben sind zerborsten, die Flanken des Wagens durchsiebt. Alle Männer im wehrfähigen Alter unter 60 Jahren müssen aussteigen und einem Mitvierziger in Fleckentarn ihre Pässe zeigen. Der gefällt sich sichtlich in der Pose des Kämpfers und streicht während der Kontrolle immer wieder über seine Kalaschnikow. Seine Zigarette hat er sich in den Mundwinkel geklemmt.

Doch seine Inszenierung des heroischen Verteidigers eines unabhängigen Donbass wird durch den Zustand seines Checkpoints ad absurdum geführt. Überall liegt Müll herum, über einem brennenden Ölfass hängen Socken zum Trocknen.

Ohne Gepäckkontrolle dürfen wir den Checkpoint passieren. „Banditen“ zischt meine Busnachbarin. Bis Donezk sind es jetzt nur noch ein paar Kilometer. Wir haben den Krieg noch nicht gesehen, aber im Bus hat jetzt jeder eine Ahnung davon, wie er sich anfühlt.


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