Ukraine

Zwischen Prunk und Pleite

Die Welt staunte nicht schlecht, als bekannt wurde, welcher Prunk sich hinter den hohen Hecken der Präsidentenvilla von Viktor Janukowitsch verbirgt: eine römische Galeere, ein Zoo und ein goldener Brotlaib als Briefbeschwerer. Der Luxus, mit dem sich der Präsident bis zuletzt umgab, bringt selbst die größten Kritiker seines Regimes ins Staunen.

Die Staatskassen stehen dazu in einem drastischen Gegensatz. Seit Jahren taumelt die Ukraine am Rande des Staatsbankrotts. Allein 2014 und 2015 wird die Ukraine Finanzspritzen in Höhe von 25,5 Milliarden Euro brauchen. „Die Situation ist eine Katastrophe“, klagt Übergangspräsident Alexander Turtschinow.

Verglichen mit anderen Pleitestaaten ist die Staatsverschuldung in der Ukraine mit 40,5 Prozent des BIP aber eigentlich moderat – in Deutschland beträgt sie das Doppelte. Das Problem sind vielmehr die Währungsreserven, die immer mehr zusammengeschmolzen sind. Die Ukraine hat kaum Geld zurückgelegt, um Kredite beispielsweise in Euro oder in Dollar zurückzahlen: Seit 2012 haben sie sich fast halbiert. Ohne eine Finanzspritze wird die Ukraine somit ihre laufenden Kredite kaum bedienen können. Die Ratingagentur Standard and Poor’s urteilte mit der Abstufung des Ratings auf CCC: „Default mit wenig Aussicht auf Erholung“.


Die Lage ist dramatisch

„Die Lage ist dramatisch“, bestätigt Anna Derewjanko, Direktorin des europäischen Business-Councils in Kiew. Zuletzt kamen positive Signale aus der EU, die mit den USA und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Hilfspaket über 20 Milliarden Euro schnüren wollen. Daran werden aber umfassende Reformen geknüpft sein. „Die Ukrainer sind sich bewusst, dass es Veränderungen geben muss – auch, wenn das schmerzhaft sein kann“, sagt Derewjanko.

Gerade der Währungsfonds IWF ist in Kiew aber kein Unbekannter mehr: Seit Jahren wurde zwischen Kiew und Washington um einen IWF-Kredit gefeilscht. Der Knackpunkt: Der IWF fordert, die Gaspreise für die Haushalte zu erhöhen, um den maroden staatlichen Energiesektor zu sanieren. Für die Ukrainer sind die Gaspreise allerdings eine heilige Kuh. „Ich würde dem IWF empfehlen, diesmal nicht so restriktiv zu sein – eine Preissteigerung beim Gas könnte die soziale Stabilität und den privaten Konsum gefährden“, sagt Vasili Astrov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Der Preis, um den die Ukrainer bei den Russen das Gas kaufen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren vervielfacht. Diese Steigerungen wurden zwar an die Industrie, nicht jedoch an die privaten Haushalte weitergegeben.

Insgesamt sind die strukturellen Probleme groß. Die Ukraine importiert viel mehr, als sie exportiert. 2013 lag das Defizit bei 8,9 Prozent. Ein Drittel der Exporte stammt aus dem Stahlsektor. Gerade durch die Hallen der ukrainischen Stahlwerke weht aber noch der Wind der Sowjetunion: Die Hochöfen stammen zum Teil noch aus der Stalin-Ära. Für jeden Euro, den die ukrainische Wirtschaft erwirtschaftet, verbraucht sie zehnmal mehr Energie als westliche Industriestaaten.


D-Day ist der 1. April

Nach der Wende war das in Ländern wie Polen, Ungarn oder Bulgarien nicht anders, sagt Wirtschaftsexperte Astrov. Investitionen aus dem Ausland haben dort nicht nur Kapital, sondern auch neue Technologien gebracht. „Die Ukraine braucht eine wirkliche EU-Beitrittsperspektive, damit Unternehmer in das Land investieren“, meint Astrov. Die Unsicherheit über die geopolitische Ausrichtung der Ukraine und die grassierende Korruption hat ausländische Direktinvestitionen gehemmt. Wenn die Ukraine auf halbem Weg in der EU-Integration stecken bleibt, kann das schnell zum Verlustgeschäft werden – selbst, wenn das von Janukowitsch im November auf Eis gelegte EU-Freihandelsabkommen doch noch unterzeichnet werden sollte: „Viele ukrainische Produkte sind noch nicht reif, mit europäischen Produkten zu konkurrieren“, sagt Astrov. Fließen keine Investitionen, wird das wohl so bleiben.

Entscheidend wird natürlich die Rolle der Russen sein. Sie haben den zuletzt vereinbarten 15-Milliarden-Euro-Kredit ausgesetzt. Wenn es zu einer Annäherung an die EU kommt, hat der Kreml schon neue Importzölle für die Ukraine angekündigt. Derartige Maßnahmen hatten die Ukraine in der Vergangenheit immer schwer getroffen. Russland ist für die Ukraine immer noch der wichtigste Handelspartner. Unklar ist auch die Frage des Gaspreises: So hat der russische Präsident Wladimir Putin den Gaspreis für die Ukraine im Dezember um ein Drittel gesenkt. Russland behält sich aber vor, den Preis nach jedem Quartal neu zu verhandeln. D-Day ist Beobachtern zufolge somit der 1. April.

Die jüngste Krise hat der Ukraine aber von anderer Seite einen unerwarteten Reformschub gegeben: So hat die Währung Hrywnja seit Anfang Februar, als die Koppelung an den US-Dollar aufgehoben wurde, mehr als zehn Prozent an Wert verloren. Experten hatten schon seit Jahren gefordert, die Währung abzuwerten. Kurzfristig könne das helfen, ukrainische Exporte billiger zu machen und dadurch die Schere in der Leistungsbilanz zu verringern.


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