Gerd Ruge zum Rückzug deutscher Medien
ostpol: Sie haben gerade Ihr Buch „Unterwegs. Politische Erinnerungen“ veröffentlicht und blicken auf ein langes Journalistenleben zurück. Stimmt es, dass Moskau als Korrespondentenplatz an Bedeutung eingebüßt hat?
Gerd Ruge: Als ich zum ersten Mal in Moskau war, war die Lage ja vollkommen anders. Ich war Mitte der 1950er Jahre der erste und einige Zeit der einzige deutsche Korrespondent in der russischen Hauptstadt. Es gab die Zensur, wir lebten sehr abgeschottet und es gab etwa 12 bis 14 westliche Korrespondenten. Damals war der Posten nicht besonders beliebt, weil wir so eingekastelt waren.
Korrespondentenschwund in Russland: Das Handelsblatt schloss vor kurzem sein Büro in Moskau, Die Zeit hat ihren Korrespondenten abgezogen. Beide Medien decken die Berichterstattung nun von Deutschland aus ab. Für die Süddeutsche Zeitung berichtet seit Jahren nur noch ein Korrespondent aus Russland, die F.A.Z. zog im August nach 20 Jahren ihre Kulturkorrespondentin Kerstin Holm aus Moskau ab.
Das änderte sich und seit Mitte der 1970er Jahre war Moskau ein sehr begehrter Platz, weil die sowjetische Rolle in der Weltpolitik immer wichtiger wurde. Es gab große außenpolitische und militärpolitische Probleme, die ohne Verhandlungen mit der Sowjetunion nicht gelöst werden konnten. Insofern wurde der Posten über lange Zeit immer bedeutsamer. Wenn heute die Zahl der deutschen Korrespondenten wieder zurück geht, muss man sich überlegen, was dahinter steckt.
ostpol: Die Redaktionen begründen den Abbau der Korrespondentenstellen damit, dass die Berichterstattung aus Moskau weniger wichtig geworden sei. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ruge: Nein, keineswegs. Man sollte die russische Politik, die manchmal scheinbar wie die sowjetische aussieht, unbedingt hautnah beobachten. Es ist wichtig, dass die Veränderungen, die sich in Russland vollziehen, genau registriert und beobachtet werden. Sie sind nicht so dramatisch wie früher, aber es sind ebenfalls wichtige Entwicklungen, von denen auch die außenpolitische Zusammenarbeit in den nächsten Jahren abhängt. Ohne die Zusammenarbeit mit Russland sind die großen weltpolitischen Probleme im Nahen Osten, wie etwa gerade die Syrien-Krise, nicht zu lösen. Auch deshalb benötigt man diese Nähe zur russischen Politik und das Verständnis für ihre Motive.
Gerd Ruge, Jahrgang 1928, Pionier der Auslandsreportage, arbeitete als Korrespondent für die ARD u.a. in Moskau, Washington und Peking. Vor kurzem erschienen seine Memoiren „Unterwegs. Politische Erinnerungen“ im Hanser-Verlag.
ostpol: Viele Redaktionen sagen, sie wollen Berichterstatter nur noch entsenden. Kann man über Russland berichten, ohne einen festen Korrespondenten vor Ort zu haben?
Ruge: Man braucht Nachrichten, die man aus Russland direkt bezieht und nicht von den Nachrichtenagenturen oder aus dem Internet. Das sollte auch nicht über die USA oder andere Länder geschehen, die da eigene Interessen haben.
ostpol: Finden Sie es bedenklich, dass in der Medienkrise vor allem an der Auslandsberichterstattung gespart wird?
Ruge: Sicher ist sie nicht billig, aber die Auslandsberichterstattung ist von enormer Wichtigkeit. Die politische Berichterstattung kann sich ja nicht nur davon abhängig machen, welche Geschichte gerade sensationell ist und auf besonders großes Interesse stößt. Es wäre wirklich tragisch für die Politik, wenn die Zahl der Korrespondenten und deren Berichterstattung noch weiter eingeschränkt würde. Es fehlt schon jetzt häufig die regelmäßige Berichterstattung, über das, was in Russland vorgeht und was sich in der Beziehung zum Westen verändert. Das wird leider immer weniger behandelt, weil es einen geringeren Sensationswert hat als noch vor zehn oder 15 Jahren.
ostpol: Wäre es in der globalisierten Welt nicht wichtig, das Korrespondentennetz auszubauen statt es abzubauen?
Ruge: Das ist immer meine Überzeugung gewesen, als Auslandskorrespondent, aber auch als innenpolitischer Redakteur in Deutschland. Direkte Berichterstattung und Leute, die an Ort und Stelle sind, haben eine große Bedeutung für das Verständnis der weltpolitischen Landschaft.