Serbien

To Fadil The Translator

MILOS ZIVANOVIC

To Fadil The Translator

'99 verließ ich Belgrad
und landete im Arsch
aber das weißt du vielleicht schon
ich schrieb darüber
und schickte dir das Buch.
Ich überquerte die Sava, dann die Donau
und flüchtete gen Nord-Nordwest.
Später kam ich wieder an die Donau
immer wieder gerate ich an die Donau
wo auch immer du hin gehst, irgendeine Donau ist da
ich habe die Nase voll davon.
Lieber würde ich den Mississippi überqueren, zur Abwechslung.
Ich weiß nicht, wo du warst
während ich die Donau überquerte
auf der Flucht vor ihnen und vor mir.
Ich weiß nicht, ob sie hinter dir her waren
mit Helikoptern, Adlern
Patronen, Augen
Messern, Stiefeln
haben sie auf dich geschossen oder hast du geschossen
warst du versklavt
hattest du das Glück, dich irgendwo weit weg zu verstecken.
Aber du bist am Leben, das habe ich gehört
ein Guru-Translator
du übersetzt, über den Napalm-Fluss zur Freiheit.
Deine Sprache beherrsche ich nicht
(was normal, erwartungsgemäß und erwünscht ist).
Ich habe dich nie gesehen.
Die Leute sagen, du ähnelst einem Beatnik.
Ich weiß nicht, ob es an der Übersetzung liegt
oder an Ginsberg
oder am Alkohol
oder einfach so am Leben.
Ich stelle mir vor, du im Kaffeehaus
mäßig betrunken, wie es sich gehört
wie du Verse vorträgst
in einer höllischen Vielzahl an Sprachen, Sprechweisen, Territorien
machst du dir Gedanken über die Revolution
zumindest, wenn du betrunken bist.
Über die Solidarität, die Republik.
Zukunft?
Die Zukunft für all die Übersetzungen, die du im Schrank aufbewahrst?
Ich kenne einige gute Kaffeehäuser in Priština
(Querim hat sie mir gezeigt)
die Namen weiß ich aber nicht mehr, eh klar
Ich kann kaum dem Drang widerstehen
mich ins Auto zu setzen und in den Süden zu rasen.
Die Freiheit ist auf der Autobahn zu Hause.
Wenn der Asphalt voller Raupen ist.
Was ist der Mensch ohne sein Auto?
Im Herzen eines jeden gibt es ein Motel
einen Punkt der Überschneidungen und Möglichkeiten
für die Tasse Kaffee und den Zen-Moment.
Lenkrad und Musik und die Logik der weißen Linie
die das Echo der Eisenbahnschwellen bewahrt.
Und der Tod als die beständige Wahlmöglichkeit
– solange es so bleibt, ist es gut.
Ich fahre nicht mehr betrunken
seit die EU-Vorschriften in Kraft sind.
Heute Abend sollte ich öffentlich auftreten
und ein Buch bewerben (ein albanisches, stell dir vor)
in Werbelaune.
Ich hasse Öffentlichkeit
und die Namen der Menschen, die öffentlich auftreten
weil die Salon-Libertins nicht wissen
dass Namen überflüssig sind
während Solidarität und Anonymität unbedingt notwendig sind
und dass das Buch sein eigenes trauriges Leben hat
in das wir uns nicht einmischen dürfen
– flüsternd sang ich:
... because something is happening here, but you don´t know what it is.
Deshalb sitze ich zu Hause
und phantasiere, wie ich nach Priština fahre.
Ich habe das Gras im Garten gemäht.
Das scheint mir eine gesunde Betätigung zu sein.
Mein Sohn mag es, wenn ich Gras mähe
er rennt im Kreis herum wie ein wild gewordener Zwerg.
Jetzt riecht es gut draußen.
Ich bin zufrieden, erhole mich, trinke ein Bier
in Gedanken fahre ich in den Süden
nach Priština, nach Mexiko
gen Süden, gen Freiheit.
Denn autodidaktische automatisch betriebene Haubitzen vom Berg
schleudern weiterhin gnadenlos Flüche und Schlamm auf die Stadt
die Stadt sollte man vergewaltigen und anschließend verbrennen
die Haubitzen machen uns weis, wir seien Selbstmörder.
Aus dem Lautsprecher kommt etwas, das so gut ist, dass es teuflisch sein muss
der Musiker muss mit etwas sehr Großem und Schrecklichen
in Kontakt gewesen sein,
– ein satter Mund singt nicht.
In Gedanken habe ich genug Geld
für 10 Tankfüllungen bleifreien Benzin
einen Ölwechsel
eine Stange Zigaretten
und eine feine Sonnenbrille.
Ich fahre und fahre
am Parkplatz hinter der Tankstelle wichse ich wie ein Schimpanse
ich fahre weiter und weiter
ich weiß nichts über den Ort, an dem ich anhalte
ich weiß nichts über Kosovo oder Mexiko
ich weiß nicht, wo die Grenze ist
ich weiß, wo Rio Grande ist
ich weiß, das Leben ist noch immer billig.
In meiner Phantasie bin ich stabil und stark
ich habe genug Kraft und Verstand
um über meinen Bruder nüchtern nachzudenken.
Weißt du, mein Bruder ist tot
Predator hat ihn aufgefressen.
Ich spreche mit ihm, ich schreibe ihm
aber die Toten sind tot.
Ich denke auch über dich nach, und über Vlajsa und über deinen Bruder.
Ich bin froh, dass ihr lebt.
Dass ich euch lesen kann.
Fadil Bajraj – Master Jedi
may the force of language be with you.

Aus dem Serbischen von Mascha Dabić

BETON auf der Leipziger Buchmesse 2014

Zum Interview mit Milos Zivanovic


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