RLW #52: Russlands Höllen-Woche
Liebe Leserinnen und Leser,
vielleicht erinnern Sie sich an unsere sporadische Rubrik „die Gute Nachricht aus Russland“. Zuletzt im Februar gab’s aus Russland Erfreuliches zu berichten, und zwar aus der Welt der Architektur. Ich kann Ihnen garantieren: Heute kommt die Gute Nachricht nicht wieder. Die vergangene Woche brachte uns im Gegenteil ziemlich schlechte Nachrichten. Vielleicht waren sie sogar noch ein bisschen schlechter, als wir es aus Russland gewohnt sind.
Am Freitag wurde die journalistische Führungsspitze der Medienholding RBC gefeuert. RBC - Onlinemedium, Zeitung, Sparten-Ferhsehsender - spezialisierte sich auf Wirtschaftsnachrichten, und avancierte in den letzten zwei Jahren zur führenden Investigativredaktion des Landes. Die RBC-Zeitung war eines der wenigen Medien, das die „Panama Papers“ auf der Titelseite brachte. Ja, die RBC-Kanäle lieferten wohl wie kein anderes russisches Medium ein vielfältiges Bild vom Geschehen im Land. Einige Kollegen sprechen jetzt von einem „zerstörten Wunder“: RBC tat in der denkbar schlechtesten Zeit für Journalismus in Russland Dinge, die sich sonst niemand traute.
RBC-Journalisten recherchierten im engsten Umfeld Putins, schauten korrupten Bauunternehmern auf die Finger, forschten die Einkommensquellen der russisch-orthodoxen Kirche aus. Kurzum, sie machten Journalismus, wie er sein soll, und in Russland eben nicht sein darf.
Dem Milliardär und Eigentümer von RBC, Michail Prochorow, ist unmissverständlich klar gemacht worden: So nicht. Der Ärger kündigte sich schon im April an, als die Büros von Prochorows „Onexim Group“ von maskierten Steuerermittlern durchsucht wurden. Für eine kurze Zeit sah es so aus, als käme zumindest RBC heil aus dem Wasser… Nun. Was passiert jetzt? Mit der redaktionellen Unabhängigkeit ist es vorbei. Wahrscheinlich werden jetzt viele Mitarbeiter RBC den Rücken kehren - wie vor zwei Jahren bei der Übernahme von Lenta.ru durch eine kremltreue Redaktion.
Ok, die Woche ist versaut. War’s das endlich mit den schlechten Nachrichten? Nein, denn ebenfalls am Freitag hat die Duma in erster Lesung eine Reihe von Gesetzesänderungen beschlossen. Natürlich geht es, wie immer bei repressiven Gesetzen, um den „Kampf gegen Terrorismus.“ Faktisch schafft die Duma mit den Gesetzesänderungen neue Möglichkeiten, Menschen zu schikanieren, als wäre die bestehende und oft kritisierte Anti-Extremismus-Gesetzgebung nicht genug.
Dabei kann man in Russland bereits jetzt für einen Like oder einen Repost ins Gefängnis wandern. Jetzt sollen die russischen Sicherheitsbehörden das Recht bekommen, Russen die Ausreise ins Ausland zu verbieten, wenn sie als „Extremisten“ in Erscheinung getreten sind. Für einen Ausreiseverbot soll auch eine außergerichtliche „Warnung“ des FSB reichen. Das heißt, man braucht nicht einmal Verdächtiger zu sein, und schwupps, man steckt für fünf Jahre in Russland fest.
Zuletzt ein kleiner Gruß aus den „wilden Neunzigern“, die seit Putin ja angeblich vorbei sind: Auf dem größten Friedhof Moskaus hat es am Samstag eine Schießerei mit drei Toten und dutzenden von Verletzten gegeben. Hunderte Menschen gingen aufeinander los, offenbar handelte es sich um Friedshofsarbeiter aus Zentralasien auf der einen und Männer aus dem russischen Kaukasus auf der anderen Seite.
Über die Hintergründe der Schießerei ist wenig bekannt, es klingt aber stark nach Korruption, Schwarzgeld und organisierter Kriminalität, alles wie früher. Auf der russisch-orthodoxen Nachrichtenseite „Die orthodoxe Welt“ gibt es dazu einen kleinen Überlebensratgeber: „Was tun, wenn Sie in eine Schießerei auf dem Friedhof geraten sind“. Der wichtigste Tipp: nicht weglaufen. Sich gleich auf den Boden fallen lassen. Weiß nicht jeder.
„Russland letzte Woche“ ist ein eklektischer Rückblick auf die Vorgänge da drüben im Osten, geschrieben von Pavel Lokshin in Kooperation mit n-ost. Für Abonnenten jeden Montagmorgen als Newsletter und auf ostpol.
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