Ukraine

„Ohne den Alltag wird man verrückt“

n-ost: Frau Sommerbauer, wie haben Sie sich auf Ihre Recherchen in einem Kriegsgebiet vorbereitet?

Jutta Sommerbauer: Vor jeder Reise bereitet man sich natürlich intensiv vor. Ich mache mir einen ungefähren Plan, an welchen Geschichten ich arbeiten möchte und kontaktiere mögliche Gesprächspartner. In einer so speziellen Situationen kommen viele logistische Fragen hinzu: Wie komme ich in das Konfliktgebiet? Habe ich alle nötigen Papiere, um die Checkpoints zu passieren? Ich wurde aber auch immer wieder von Entwicklungen überrascht. Als ich eines Tages im Mai 2014 mit dem Flugzeug aus Donezk abreisen wollte, ging das nicht mehr: Der Flughafen war über Nacht von prorussischen Kämpfern besetzt worden.


+++ VERLOSUNG +++

Wir verlosen ein Exemplar von Jutta Sommerbauers Buch „Die Ukraine im Krieg. Hinter den Frontlinien eines europäischen Konflikts“. Wenn Sie an der Verlosung teilnehmen möchten, beantworten Sie uns bis zum 24. Februar 2016, 11 Uhr, folgende Frage: Was hinderte Jutta Sommerbauer bei ihrer Abreise aus Donezk? Antworten bitte an abo@ostpol.de. Viel Glück!


Zwischen Russland und der Ukraine tobt ein Informationskrieg. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre journalistische Arbeit?

Sommerbauer: Man ist als westliche Journalistin in einem Kriegsgebiet, das unter russischem Einfluss steht, mit Skepsis konfrontiert. In der restlichen Ukraine ist das anders. Dort nehmen die Menschen eher an, man ist eine Verbündete – das kann auch problematisch sein. Für mich ist eine Mischung aus Empathie und professioneller Distanz wichtig, wenn man mit Menschen zu tun hat. Und natürlich versuchen alle Kriegsparteien Journalisten zu beeinflussen, zum Beispiel mit gezielter Desinformation. Am besten, man hinterfragt so ziemlich alles.

Woher beziehen denn die Menschen in den sogenannten „Volksrepubliken“ ihre Informationen?

Sommerbauer: Schon im Frühling 2014 wurden ukrainische Medien eingeschüchtert, Redaktionen geschlossen und Fernsehkanäle abgeschaltet – und durch neue, „genehme“ Stimmen ersetzt. Die Mehrheit der Menschen im Donbass hat auch schon vorher russische Medien konsumiert. Der Einfluss von russischer Propaganda war also gegeben. Heute kann man höchstens im Internet andere Informationen finden. Auch da versucht das dortige Informationsministerium einzugreifen. Es werden zum Beispiel manche News-Seiten blockiert, die als zu pro-ukrainisch gelten.

Sie schildern in Ihrem Buch vor allem den Alltag der Zivilbevölkerung. Inwiefern können die Menschen im Donbass ein normales Leben führen?

Sommerbauer: Das hängt sehr davon ab, wo man lebt. Im Zentrum von Donezk nimmt das Leben mehr oder weniger seinen Lauf. Dort gehen Pärchen in Parks spazieren, Kinder spielen auf Spielplätzen, Freundinnen sitzen in Cafés. Wenn es in der Ferne kracht, blickt man nur kurz auf und zieht dann weiter an der Zigarette oder nippt am Drink. Dieses Abschalten, eine gewisse Normalität ist den Menschen sehr wichtig. Man kann ja nicht im permanenten Kriegszustand leben. Man braucht den Alltag, um nicht verrückt zu werden.

Und wie ist das Leben nahe der Front?

Sommerbauer: Dort sieht es schon ganz anders aus. Ein unbeschwerter Alltag ist da kaum möglich. Gebäude sind getroffen, die Elektrizität und Gasversorgung ist zerstört und es besteht eine permanente Sicherheitsgefahr. Viele Menschen sind daher aus diesen Regionen geflohen. Dort bleiben oft nur noch Rentner, Kranke, besonders Arme oder einfach Menschen übrig, die sich aus irgendeinem Grund weigern, ihr Haus oder ihre Wohnung zu verlassen. Diese Sturheit ist lebensgefährlich, aber auch beeindruckend.

Rund 1,5 Millionen Menschen mussten vor dem Krieg aus ihren Heimatorten fliehen. Wie werden sie von ihren neuen Nachbarn aufgenommen?

Sommerbauer: Zu Beginn gab es eine große Solidarität und Hilfsbereitschaft. Je länger der Konflikt andauert, desto schwieriger wird es natürlich: Die Mittel sind begrenzt. Mittlerweile gibt es durchaus gemischte Gefühle gegenüber den Binnenflüchtlingen. Die zahlenmäßig größte Gruppe befindet sich noch immer in der Ostukraine, relativ nahe am Konfliktgebiet. Sie werden dort eher mit Wohlwollen begrüßt. In der Westukraine gibt es eine größere Skepsis. Manche fragen: Wer sind diese Leute? Sind sie vielleicht gar „Separatisten“? Die Chance in dieser misslichen Situation könnte sein, dass sich Menschen aus dem Westen und Osten nun besser kennen lernen.

Zur Person:

Jutta Sommerbauer, Studium der Politikwissenschaft in Wien und Huddersfield (GB). Seit 2008 Redakteurin bei der Presse, erst Chronik, danach Außenpolitik. Zahlreiche Recherchereisen nach Russland, Belarus, in den Südkaukasus und nach Zentralasien. Seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise immer wieder in Kiew, auf der Krim und in der Ostukraine unterwegs, auf beiden Seiten der Front. Ihre Berichte erscheinen auch in Zeit Online, Tagesspiegel und Stuttgarter Zeitung. Sie ist Mitglied des Korrespondentennetzwerkes n-ost.

Jutta Sommerbauer

Die Ukraine im Krieg
Hinter den Frontlinien eines europäischen Konflikts

Verlag Kremayr & Scheriau
208 Seiten, 16 Seiten Fotos, Übersichtskarten
ISBN: 978-3-218-01027-6

22 Euro


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