Auf den Spuren der IS-Kämpfer
Die Reifen rotieren im Schlamm. Der Weg in das abgelegene nordbosnische Bergdorf Gornja Maoca ist kurvenreich. Ein Ortseingangsschild gibt es nicht in der Siedlung, in der die notdürftig hochgezogenen Häuser schon wieder zerfallen. Auch keine Geschäfte. Aber es gibt eine Wand, auf die das Wappen des „Islamischen Staats“ gemalt ist.
Auch ohne Handyempfang spricht sich schnell herum, dass Journalisten im Ort sind. Hektisch werden die schwarzen Flaggen des IS von den Häusern entfernt. An einer Fassade steht mit schwarzen Buchstaben auf weißem Grund das islamische Glaubensbekenntnis – eine Variante der Fahne des „Islamischen Staates“.
Radikalisierung übers Internet
Zwei Kinder nehmen spitze Steine zur Hand, um die Farbe vom Stein zu kratzen. Innerhalb von zwei Minuten ist es verschwunden. Ein Mann, der sich als Edis Bosnic vorstellt, versucht, die hektische Aufräumaktion zu erklären: „Wir haben mit diesen Leuten nichts zu tun. Sie haben das Dorf verlassen, wir wissen nicht, wohin“.
Bosnien ist einer der größten Rekrutierungsstellen des IS in Europa. Experten schätzen, dass mindestens 1.000 Personen vom Balkan zum Kämpfen nach Irak und Syrien zogen. Hinzu kommen Bosniaken, die inzwischen deutsche, österreichische oder serbische Staatsbürger sind.
Als wichtigstes Anwerbezentrum gilt Gornja Maoca. Im Dezember vergangenen Jahres wurden Einwohner des Dorfes bei einer Razzia festgenommen. Anfang Februar durchsuchten erneut Spezialeinheiten das Dorf. Es wurde über Terrorcamps nahe der Siedlung spekuliert.
Edia Bosnic wirkt wie der inoffizielle Pressesprecher der wahabitischen Gemeinde in Gornja Maoca. Sein langer dunkler Bart macht es schwierig, sein Alter genau zu schätzen. Fotografiert werden möchte er nicht: „Ich habe eine Frau und zwei Kinder, mein Traum, berühmt zu werden, ist schon lange ausgeträumt“, scherzt er.
Ein Blick auf Bosnics Twitter-Account zeigt, dass er 55 Profilen folgt. Die meisten davon werben für eine streng wahabitische Auslegung des Islam. Eines der Profilbilder ist die IS-Fahne, andere Profile sind islamistische Newsseiten. Bosnic favorisiert einen Tweet, der Kämpfer des „Islamischen Staats“ im Einsatz in Syrien zeigt.
Aus Festgenommenen werden Helden
Das passt ins Bild: Viele Bosnier, die nach Syrien und in den Irak gehen, kommen nicht aus streng islamischen Familien, sondern wurden über das Internet radikalisiert. Auch in Bosnien wissen IS-Sympathisanten, wie wichtig das Internet für die Rekrutierung ist. Er sei kein Radikaler, sagt Bosnic dennoch. „Wir versuchen hier in Ruhe den Islam zu leben. Es gibt hier keine Terroristen.“
Suad Hasanovic ist da anderer Meinung. Der Polizist ist einer der Hauptverantwortlichen für die Razzien im Februar und Mitglied der bosnischen Spezialkräfte Sipa. Er recherchierte zu den Polizeioperationen „Damaskus 1“ und „Damaskus 2“, bei denen Dutzende Islamisten festgenommen wurden: „Wir vermuten in Gornja Maoca Rückkehrer, die Dschihadisten für Syrien und den Irak werben,“ sagt Hasanovic.
Nicht alle in Bosnien befürworten die Polizeioperationen. Armin Krzalic ist Direktor des bosnischen Zentrums für Sicherheitsstudien und kritisiert die Praxis der Behörden: „Die Operation Damaskus hat niemandem geholfen, sondern aus den Festgenommenen Helden gemacht.“ Die Polizeistrategie hält Krzalic schon deswegen für falsch, weil Gefängnisse sich bestens für die Radikalisierung und Rekrutierung eignen. „Wenn sie einen Islamisten ins Gefängnis stecken, dann kommen zehn wieder heraus“.
Alte Netzwerke aus dem Bosnienkrieg
Die Taten der Männer aus Gornja Maoca erzählen eine eigene Geschichte. Am 28. Oktober 2011 eröffnete Mevlid Jasarevic mit einer AK-47 das Feuer auf die US-Amerikanische Botschaft in Sarajevo und schrie dabei „Allahu Akbar“. Der junge Mann, der zuvor in Gornja Maoca lebte, verletzte bei dem Terroranschlag zwei bosnische Polizisten, bevor er von Sicherheitskräften niedergeschossen wurde. Er überlebte und wurde von einem bosnischen Gericht zu 18 Jahren Haft verurteilt.
Jasarevic ist wie viele Einwohner seines Dorfes Anhänger des Wahabismus, einer ultrakonservativen Glaubensrichtung des Islam, die vor allem in Saudi-Arabien verbreitet ist und seit dem Bosnienkrieg vermehrt Anhänger in der Region findet. Tausende Mudschaheddin kamen damals aus Nordafrika, dem Nahen und Mittleren Osten, um auf Seiten der bosnischen Muslime zu kämpfen.
Islamistische Netzwerke aus dem Bosnienkrieg sind weiterhin aktiv und stehen heute dem „Islamischen Staat“ zur Verfügung. Damals reisten viele Islamisten über Wien nach Bosnien, um auf der Seite ihrer Glaubensbrüder zu kämpfen. Heute machen viele Bosnier eine Zwischenstation in Wien, bevor es über Istanbul in die Gebiete geht, die vom „Islamischen Staat“ kontrolliert werden.
Vollverschleierte Frauen
Religiöser Führer der wahabitischen Gemeinde in Gornja Maoca war lange Zeit Nusret Imamovic. Laut Angaben der bosnischen Spezialpolizei Sipa warb er seit 2012 um Dschihadisten für den Syrienkrieg. Imamovic verließ Bosnien-Herzegowina illegal am 28. Dezember 2013, um sich den sunnitischen Al-Nusra Brigaden in Syrien anzuschließen. Seit 2014 steht er auf der Terrorliste der USA.
Die Lebensrealität in Gornja Maoca hat mit dem restlichen Bosnien kaum etwas gemein. Die Frauen sind vollverschleiert und dürfen nicht mit Fremden sprechen. Zwei von ihnen spannen einen Regenschirm auf und blicken mit dem Gesicht gegen eine Wand, damit sie nicht fotografiert werden können. Einige der Männer werden aggressiv und drohen: „Wenn wir Bilder von uns im Internet finden, dann bekommt ihr Probleme“. Sie zeigen auf den Hals und machen eine Geste, als würden sie ihn aufschneiden wollen. Schon öfter wurden Journalisten in Gornja Maoca angegriffen. Heute jedoch ist auch eine Polizeistreife vor Ort.
Edis Bosnic bleibt gelassen. Er bittet die Drohenden, sich zurück zu nehmen und entschuldigt sich höflich: „Sie müssen verstehen, wir haben in letzter Zeit Schwierigkeiten mit den Medien. Sie lügen, weil sie Schlagzeilen wollen. Die stellen uns dar, als seien wir alle Mörder und Verrückte.“
Nach den Plänen des IS-Anführers Abu Bakr al-Baghdadi soll der gesamte Balkan bis hinauf nach Wien dereinst auch Bestandteil des Kalifats werden, das die dschihadistische Terrororganisation Ende Juni in den eroberten Gebieten des Iraks und Syriens ausgerufen hat. In Gornja Maoca werden schon mal die Flaggen gehisst.
Die Recherche wurde finanziert durch das „Journalisten vor Ort“-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung sowie durch ein Reisestipendium von n-ost.