Ungarn

„Der Schlüssel liegt bei der Telekom“

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Meine Kollegen und mich erreicht derzeit eine Flut von aufmunternden Zuschriften, unsere Facebook-Gemeinschaft ist um viele neue Mitglieder gewachsen. Sogar das Ausland ist auf unser Projekt aufmerksam geworden. Wir blicken deshalb äußerst optimistisch auf den Start unseres Netzwerks „Direkt36”. Das Onlineportal soll zu einem Flaggschiff des investigativen Journalismus in Ungarn werden. Zu den Gründern gehören meine Kollegen Gergö Saling, Balazs Weyer und ich.


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Am 29. Januar 2014 wird Direkt36-Gründer Balazs Weyer in Berlin von dem Projekt berichten.
19 Uhr im n-ost-Büro
Alexandrinenstraße 2-3, Aufgang C
10969 Berlin


Ein Anruf vom Chefredakteur

Angefangen hat unser hoffnungsfrohes Projekt allerdings mit einer traurigen Begebenheit vor einem halben Jahr. Es war der Nachmittag des 2. Juni 2014, ich war damals noch stellvertrender Chefredakteur von Origo, einem der größten Nachrichtenportale Ungarns. Ich war gerade auf dem Weg nach Brüssel zu einer Konferenz, als mich ein Anruf am Flughafen aus der Fassung brachte.

Mein damaliger Chef Gergö Saling war dran. Er sagte nur: „Das war's mit meiner Laufbahn bei Origo“. Die Nachricht schockte mich, dennoch war ich nicht völlig überrascht: In den vorangegangenen Monaten war der Druck auf unsere Redaktion gestiegen. Ich hatte damit gerechnet, dass dies kein gutes Ende nehmen würde.


Die Telekom respektierte bislang die Unabhängigkeit der Redaktion

Gergö und ich waren beide seit 2002 bei Origo. Gergö arbeitete in der aktuellen Redaktion, ich recherchierte eher tiefschürfende Themen mit investigativem Charakter. Bei Origo konnten sowohl Investigativ-Journalisten als auch Tagesredakteure sehr lange unter hervorragenden Bedingungen arbeiten.

Das Portal wurde von der Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom, Magyar Telekom, herausgegeben. Angesichts unseres kapitalstarken Eigentümers hatten wir denn auch nie Angst vor finanziellen Problemen. Es gab in jener Zeit auch keine Versuche, unsere Arbeit von oben zu beeinflussen. Es hatte den Anschein, dass die Eigentümer die Unabhängigkeit der Redaktion respektierten.


Große Pläne mit Origo

Wir wussten, dass das Magyar Telekom-Management wegen unserer Artikel mitunter böse Anrufe bekam. Es gab aber niemals die Anweisung, dass wir uns bestimmter Themen nicht annehmen sollten. Im Gegenteil: Mir wurde von den Redakteuren Mut zugesprochen, wenn ich an heiklen Themen dran war.

Diese Situation änderte sich vor etwa zwei Jahren. Die ersten Anzeichen nahm ich Ende 2013 wahr, als ich von einem Stipendienaufenthalt in den USA heimgekehrt war. Gergö hatte kurz zuvor den Posten des Chefredakteurs übernommen, nach meiner Rückkehr wurde ich sein Stellvertreter.

Wir hegten große Pläne mit dem Portal. Vor allem wollten wir die etwas eingerostete Redaktion erneuern. Und wir beschlossen, uns eindringlicher mit Politik zu befassen. Den Großteil meines Stipendiums hatte ich im Ressort für investigativen Journalismus bei der „Washington Post” verbracht. Vieles, was ich in den USA gelernt hatte, wollte ich nun in Ungarn umzusetzen.


Dubiose Reisen des Kanzleramtschefs

Allerdings stellte sich heraus, dass Origo nicht mehr jenes fruchtbare Terrain für unabhängigen Journalismus war wie in den Jahren zuvor. Ich bekam wiederholt zu spüren, dass die Unternehmensführung den sachlichen, aber beharrlich nachbohrenden Journalismus, für den Origo stand, nicht mehr so unterstützte wie früher.

Deutlich wurde dies, als wir Anfang Januar 2014 daran gingen, uns in ein politisch heikles Thema einzuarbeiten. Beim Lesen einer Datenbank der Regierung fiel uns auf, dass einer der engsten Mitarbeiter von Ministerpräsident Viktor Orban, Kanzleramtschef Janos Lazar, mehrere Reisen unternommen hatte, deren Hotelkosten weit höher waren als vergleichbare Reisen anderer Politiker. Die drei Reisen, die uns ins Auge stachen, dauerten insgesamt sieben Tage. Die Kosten für die Unterkünfte beliefen sich indes auf knapp zwei Millionen Forint, rund 6.350 Euro.


Keine Antwort vom Ministerpräsidenten

Ich begann, Fragen an das Amt des Ministerpräsidenten zu stellen, worauf es aber keine handfesten Antworten gab. Die Erklärung: Aus Gründen der nationalen Sicherheit könnten sie keine Details über die Reisen herausgeben. Diese Reaktion war für mich unakzeptabel. Deshalb schlug ich gemeinsam mit der ungarischen Organisation von Transparency International den Rechtsweg ein. Wir reichten beim Amt des Ministerpräsidenten ein von Juristen formuliertes Ansuchen ein, in dem wir die Herausgabe von Daten forderten. Als das Amt auch darauf nicht reagierte, wandten wir uns an ein Gericht.

Während der Recherchen spürte ich immer immer mehr, dass der Geschäftsführung von Origo diese Geschichte zuwiderlief. In der letzten Märzwoche schließlich rief mich Gergö an einem Nachmittag beiseite. Er teilte mir mit, dass das Unternehmensmanagement wünsche, dass ich den Gerichtsweg in der Sache Janos Lazar aufschiebe. Das Gericht hatte den ersten Verhandlungstag ausgerechnet in der Woche der Parlamentswahlen auf den 1. April angesetzt. Die Unternehmensführung hätte den Beginn des Verfahrens aber gerne nach den Wahlen gesehen. Ich stellte Gergö gegenüber klar, dass ich diesen Wunsch mit meinem Berufsethos nicht vereinbaren könne, weshalb ich denn auch nicht bereit sei, ihm nachzukommen. Er unterstützte mich in meiner Entscheidung.


Der Konflikt spitzt sich zu

Anfang Mai schließlich veröffentlichte ich meinen ersten Artikel über die Reisen von Janos Lazar. Daraufhin wurde uns von oben wieder signalisiert, dass es dem Herausgeber gegen den Strich gehe, wenn wir uns weiter mit dem Thema befassen. Gergö bekam eine Anweisung, den Artikel vom Portal zu entfernen. Dazu war er jedoch nicht bereit.

Der sich nach und nach zuspitzende Konflikt erreichte einige Wochen später seinen Höhepunkt. Am dritten Verhandlungstag Ende Mai verriet das Amt des Ministerpräsidenten Details über die Reisen, die höchst bedeutend waren. Bis dahin hatten wir nicht gewusst, wie viele Personen an den Reisen teilgenommen hatten. Schließlich war es vorstellbar, dass die Hotelkosten deshalb so hoch ausgefallen waren, weil Lazar eine ganze Delegation im Schlepptau hatte. Bei der Gerichtsverhandlung Ende April stellte sich allerdings heraus, dass Lazar alle drei Male nur mit einer einzigen Begleitperson unterwegs gewesen war.


Alle maßgeblichen Medien in Ungarn übernahmen den Artikel

Im Lichte dieser Information muteten die hohen Hotelrechnungen äußerst sonderbar an. Mein Bericht darüber war prompt einer der meistgelesenen Artikel auf Origo. Zudem wurde er von fast allen maßgeblichen Redaktionen des Landes übernommen. Am Tag nach Erscheinen des Artikels meldete sich auch Janos Lazar zu Wort. In einer sarkastisch formulierten Erklärung kündigte er an, die Kosten für die Hotelrechnungen dem Staat rückzuerstatten. Auf die ursprüngliche Frage – warum die Hotelkosten so hoch waren – gab er indessen keine Antwort.

Kurz nach der Veröffentlichung des Artikels richtete ich an Gergö die Frage, ob es denn keine Reaktion von Seiten der Unternehmensführung gegeben habe. Er sagte, diesmal sei der Wunsch nicht geäußert worden, den Artikel vom Portal zu entfernen.

Womöglich hatte die Firmenführung auch deshalb keine scharfen Töne mehr angeschlagen, weil die Vorbereitungen zur Ablöse von Gergö als Chefredakteur bereits im Gange waren. Fünf Tage darauf teilte ihm der Generaldirektor des Unternehmens, Miklos Vaszily, mit, dass er als Chefredakteur abgelöst werde. Offiziell hieß es, die beiden Seiten hätten sich einvernehmlich geeinigt, Gergö machte aber gegenüber allen involvierten Personen deutlich, dass er nicht aus eigenen Stücken gehe.

Nachdem ich aus Brüssel heimgekehrt war, teilte ich dem Generaldirektor mit, dass ich kündige. Dasselbe tat daraufhin auch die Mehrheit der Redaktion. Eine solche Massenkündigung hatte es in ungarischen Medien bis dahin nicht gegeben.


Der Schlüssel liegt bei der Telekom

Die wichtigste Frage ist: Warum hat sich die Haltung des Eigentümers und der Unternehmensführung zur Unabhängigkeit der Redaktion geändert?

Wahrscheinlich hat die Sache mit dem Besorgnis erregenden Prozess zu tun, der in Ungarn in den vergangenen Jahren zu beobachten ist: Der Raum für unabhängigen Journalismus wird zunehmen enger. Dies ist einerseits auf die finanziellen Probleme zurückzuführen, von denen die Medien weltweit betroffen sind. Andererseits aber auch auf das Bestreben der ungarischen Regierung, einen möglichst großen Teil der Medien unter ihren Einfluss zu bekommen.

Wenn ans Licht kommt, was bei „Origo” genau passiert ist, werden wir wohl auch diesen Prozess besser verstehen. Ich habe noch vor meiner Kündigung bei der sogenannten Compliance Abteilung von Magyar Telekom eine offizielle Beschwerde eingereicht. Diese Abteilung hat die Aufgabe, Missbrauch innerhalb der Firmengruppe aufzudecken. Auf mein Gesuch hin wurde denn auch eine innere Untersuchung eingeleitet, in deren Verlauf mehrere Schlüsselfiguren befragt wurden.


Magyar Telekom: Die „notwendigen Schritte“ seien getan

Unterdessen trennte sich die Magyar Telekom vom Generaldirektor von Origo und auch von jenem leitenden Telekom-Mitarbeiter, der die Aufgabe hatte, Origo zu beaufsichtigen. Es ist jedoch bis heute nicht klar, ob diese Personalentscheidungen etwas mit dem Wechsel des Chefredakteurs zu tun hatten.

Im vergangenen Dezember erhielt ich von der Magyar Telekom eine Benachrichtigung, in der geschrieben stand, dass nach Abschluss der Untersuchung die „notwendigen Schritte” getan worden seien. Weitere Details wurden nicht verraten. Unterdessen stellte ich mit Gergö und anderen ehemaligen Kollegen von Origo unser Projekt „Direkt36” auf die Beine. Unabhängig davon ist es aber ein großer Wunsch von mir, dass die Wahrheit, die bis auf weiteres irgendwo bei der Magyar Telekom zu suchen ist, ans Licht kommt.

Aus dem Ungarischen von Peter Bognar

Auf Krautreporter schreibt ostpol-Korrespondent Keno Verseck über die Geschichte von Origo und seine Recherche bei der Deutschen Telekom.

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