Machtkampf unter den Separatisten der Ostukraine
Eduard Jakubowskij glaubt an die „Volksrepublik Donezk“. Der Mann in dem dunkelblauen Tarnanzug ist Oberster Richter in jenem Gebiet, in dem prorussische Rebellen herrschen. „Ich baue gerade die Justiz unserer Republik auf“, sagt der 55-Jährige.
Auf Jakubowskijs Schreibtisch stapeln sich Akten, hinter ihm hängt die Separatistenflagge mit dem russischen Doppeladler in der Mitte. „Solange wir kein Parlament haben“, erläutert der Jurist, „erlässt der Ministerrat Verordnungen.“ So gilt für Donezk zum Beispiel eine Ausgangssperre zwischen 23 und 6 Uhr. „In Zukunft gleichen wir unsere Gesetze an das russische Recht an“, sagt Jakubowskij weiter. Ukrainisches Recht bleibe in Kraft, solange es den Regeln der „Republik“ nicht widerspricht.
Trotz Waffenruhe geht der Kampf um den Donezker Flughafen weiter
Ebenso wie andere Rebellenführer kommt auch Jakubowskij aus Russland. Nachdem im Juli das Flugzeug der Malaysia Airlines über der Ostukraine abgestürzt war, übergab er den Flugschreiber an die Behörden Malaysias. „Die ukrainische Luftwaffe hat die Maschine abgeschossen“, behauptet der Mann, der in Donezk geboren wurde und in Moskau aufwuchs. „Wir haben Beweise, die wir der Welt gerne zeigen“, fügt er hinzu.
Offiziell herrscht Waffenruhe zwischen Kiew und den Separatisten. Dennoch kämpfen Armee und Rebellen verbissen um den Sergej-Prokofjew-Flughafen im Norden von Donezk. In der Stadt waren gestern MG-Salven und Artillerie zu hören, BTR-Schützenpanzer rollten über die Schewtschenko-Allee. Fast jede Nacht sterben Zivilisten, weil Granaten in Wohnhäuser einschlagen. Richter Jakubowskij glaubt an ein schnelles Ende der Kämpfe. „Wir haben schon 90 Prozent des Flughafens unter Kontrolle“, sagt er.
Mordanschlag auf konkurrierenden Separatisten?
Auch die Donezker erwarten von den Milizen Frieden. Am Montag zogen hunderte Rentner, Mütter und Kinder zum Hauptquartier der Rebellen. Sie wohnen im Kiewer Bezirk, nahe dem Flughafen. „Meine Wohnung liegt in Trümmern, ich habe weder Wasser noch Strom oder Gas“, schimpft eine Rentnerin und fordert Schutz von Separatistenführer Alexander Sachartschenko.
Der 38-Jährige, der ebenfalls mit Vorliebe im Tarnanzug auftritt, ist „Ministerpräsident“ der „Volksrepublik“ und will sich bei einer Wahl am 2. November im Amt bestätigen lassen. Die Separatisten geben sich demokratisch. Doch hinter den Kulissen tobt ein blutiger Machtkampf. Pawel Gubarew, ebenfalls ein Wortführer der Separatisten, wurde am Wochenende im Ort Snischne angeschossen und liegt seitdem im russischen Rostow am Don im Krankenhaus.
Er soll mit Sachartschenko verfeindet sein und darf mit seiner Bewegung „Novorossija“ nicht an den Wahlen teilnehmen. Gubarews Assistentin gibt an, die ukrainische Armee habe den Anschlag verübt. Allerdings liegt der Ort Snischne im Separatistengebiet, wo die Armee keine Kontrolle hat. Wahrscheinlicher ist, dass die Rebellen Gubarew loswerden wollen.
Bisher erkennt nur Südossetien die "Volksrepublik Donezk" an
Bisher wird die „Volksrepublik Donezk“ nur von Südossetien anerkannt, das sich illegal von Georgien abtrennte und selbst nur von vier Staaten weltweit anerkannt wird. Vieles deutet darauf hin, dass in der Ostukraine ein ähnlicher De-Facto-Staat entsteht. Denn die Regierung in Kiew setzt auf Entspannung. Ende der Woche wollen Präsident Petro Poroschenko und Wladimir Putin in Mailand einen weiteren Friedensplan aushandeln.
Vor den ukrainischen Parlamentswahlen am 26. Oktober will Poroschenko militärische Niederlagen vermeiden. Das gibt den Separatisten taktische Vorteile: Sie haben nichts zu verlieren und setzen ihre Attacken auf den Donezker Flughafen, die umliegenden Orte und die Stadt Mariupol fort. Dort starben bei einem Angriff am Dienstag sieben Menschen. „Wir betrachten den ganzen Oblast Donezk als unser Gebiet“, betont Richter Jakubowskij.
Die Renten zahlt weiter die Regierung in Kiew
Eigenständig existieren kann die „Volksrepublik“ bisher nicht. Rentner in Donezk beziehen ihre Pensionen immer noch von der ukrainischen Staatskasse. Lehrern und Beamten zahlten die Separatisten im September jedoch rund 200 Euro in bar aus. Das Geld kam höchstwahrscheinlich aus Russland.
Eine eigene Polizei der Rebellen ist im Moment im Aufbau. Weiß-blaue Toyotas mit der Aufschrift „Polizija“ fahren in Donezk Streife. Die Autos sind nagelneu. Woher sie kommen, will Richter Jakubowskij nicht verraten. „Sie wurden vorschriftsmäßig in Betrieb genommen“, sagt er nur.
Ihre „Regierungsfahrzeuge“ indes sollen die Milizen gestohlen haben, berichten Bürger. Als vor dem Obersten Gericht ein Separatist in einem grauen Renault ohne Nummernschild vorfährt, ist an der Tür des Wagens ist noch deutlich der Name der österreichischen „Raiffeisenbank“ zu sehen, die in Donezk Filialen betrieben hatte. Später rollt ein schwarzer Bentley mit bewaffneten Milizen die Straße entlang – ebenfalls ohne Kennzeichen.