Gefährlicher Einsatz im Kriegsgebiet
Die Bilder in den Abendnachrichten erzählen vom Krieg und rütteln die Zuschauer auf: Mütter, Väter, Alte und Kinder verstecken sich in Kellern, während draußen Raketen und Granaten einschlagen. Mehr als tausend Zivilisten starben bisher im Bürgerkrieg in der Ostukraine. Darüber berichten könnten die ortsfremden Reporter kaum ohne die Hilfe von Einheimischen. Diese sogenannten Stringer beschaffen Drehgenehmigungen, knüpfen den Kontakt zu Armee und Rebellen und kennen Fluchtwege, falls es im Kampfgebiet zu gefährlich wird. In der Ostukraine sind es meist Studenten, die die Journalisten begleiten und dabei ihr Leben riskieren.
„Die Welt muss erfahren, was hier los ist“, erklärt Anna Mykytenko, warum sie seit Beginn des Bürgerkrieges ausländischen Journalisten in der Ostukraine hilft. Im Juli führt sie einen Reporter der niederländischen Zeitung „De Volkskrant“ zu einem Massengrab in der Stadt Slowjansk. Später bringt die 25-Jährige ein Fernsehteam zu Familien in Donezk, deren Wohnungen zerbombt worden sind. Als es in der Rebellenhochburg zu gefährlich wird, beschafft die Studentin einen Lieferwagen, der das Team aus der Stadt schleust. „Der Fahrer kannte Schleichwege, so dass wir die Front umfahren konnten“, erzählt sie. Mykytenko, die in Charkiw Betriebswirtschaft studiert, arbeitet nebenbei selbst als Reporterin für ein Stadtmagazin.
Lebensgefährlicher Job für 100 US-Dollar am Tag
„Es ist kaum möglich, auf eigene Faust im Kriegsgebiet zu recherchieren“, sagt Sébastien Gobert, der seit mehreren Jahren für die Zeitung „Libération“ aus der Ukraine berichtet. Reporter seien zudem auf die Informationen der einheimischen Stringer angewiesen, fügt er hinzu.
Aus der Rebellenhochburg Donezk können Journalisten im Wesentlichen frei berichten. „Solange man sich an die Regeln hält, wird man von den Separatisten nicht gestört“, sagt Polina Konstantinowa, die öfter für den britischen Sender „Sky News“ arbeitet. Für die Rebellen sind die Medien eine Waffe im Kampf um die öffentliche Meinung. Bilder von Flüchtlingen und zerbombten Wohnungen lösen durchaus Sympathie für die Aufständischen aus. „Ich helfe den Reportern, weil ich so nebenbei etwas verdienen kann“, sagt Konstantinowa, die in Donezk Anglistik studiert. Zeitungen und Agenturen zahlen rund 100 US-Dollar pro Tag, TV-Sender etwas mehr.
Die wichtigste Regel in der Kriegszone lautet: Ohne Erlaubnis läuft gar nichts. Stringer und Reporter müssen sich im Hauptquartier der Separatisten registrieren. Die Genehmigung erteilt die „Regierung“ der selbsternannten „Volksrepublik“ in der Regel problemlos bei Vorlage des Reisepasses. „Aber genau da liegt die Gefahr“, erläutert Anna Mykytenko. Denn die Rebellen überprüfen die Namen im Internet und durchsuchen soziale Netzwerke. Wer kritische Einträge auf Facebook oder Twitter stellt, riskiert seine Freiheit.
Separatisten werfen den Stringern oft vor, Spione zu sein
So wie Anton Skyba, der im Juli für CNN in Donezk arbeitete. Separatisten verschleppten den Ukrainer aus dem Donbas Palace Hotel, wo er mit dem TV-Team wohnte, und hielten ihn vier Tage lang auf einer Polizeiwache gefangen. Zum Verhängnis wurden Skyba patriotische Bemerkungen über die Armee auf seiner Facebook-Seite. „Deshalb stelle ich keine Mitteilungen mehr ins Internet“, sagt Stringerin Anna Mykytenko. Einheimische geraten leichter ins Visier der Rebellen als Ausländer. „Die Separatisten werfen den Ukrainern meist vor, für die Armee oder einen ausländischen Geheimdienst zu spionieren“, ergänzt Mykytenko.
Auch die Armee will kritische Berichterstattung über den Bürgerkrieg verhindern. An einer Straßensperre bei Dnipropetrowsk verhafteten Soldaten den Stringer Roman Gnatjuk, der für den ukrainischen Internetsender „112“ arbeitet. Der Kanal stand früher der Janukowitsch-Regierung nahe und berichtet kritisch über die Militäroffensive. Soldaten fanden bei Gnatjuk Interviews mit Milizenführer Igor Girkin. Der TV-Mitarbeiter betreibe Propaganda gegen den Staat, rechtfertigt das Militär die Festnahme.
Studentin Mykytenko hatte bisher Glück. Es sei wichtig, beide Seiten zu kennen, immer freundlich zu sein und nie zu provozieren, sagt die junge Frau. Einmal, erzählt sie, hätten Rebellen sie an einem Checkpoint entführen wollen. Am Ende habe sie sich rausreden können, „weil ich mit den Burschen Witze gemacht habe“.