Tschechien

Auf Plastikflaschen die Elbe hinunter

Was passiert, wenn ein Tüftler und ein Recycling-Freak mit einer sehr tschechischen Schwäche für Skurriles eine Abenteuerreise planen? Wer in diesen Tagen an der Elbe spazieren geht, dem treibt die Antwort buchstäblich entgegen. Im Schneckentempo bahnt sich dort ein blaues, zehn Meter langes Tretboot seinen Weg flussabwärts. Es hat einen Mast aus Abflussrohr und besteht zum Großteil aus Plastikflaschen, 6.500 Stück an der Zahl.

Das Boot soll den Tüftler und den Recycler 900 Kilometer weit tragen: vom tschechischen Nymburk nach Hamburg, vom Oberlauf der Elbe fast bis zu deren Mündung in die Nordsee. In Hamburg wollen sie das Boot umweltgerecht entsorgen – wenn es nicht vorher auseinanderfällt.

Der Tüftler heißt Jakub Bures, der Recycler Jan Kara. Beide sind 22 Jahre alt. Jan ist Student und im vergangenen Sommer zu Fuß von Nymburk nach Gibraltar gelaufen, 3.000 Kilometer in 80 Tagen. Jakub ging zwar nur von Nymburk nach Prag, dafür aber rückwärts, mit Rückspiegeln am Rucksack. Als sie voneinander erfuhren, war klar: Sie wollen gemeinsam etwas Verrücktes machen. Jan ist fasziniert vom Bauen aus Müll. Jakub, von Beruf Schweißer, hatte schon einmal ein kleines Floß aus Plastikflaschen gebastelt. Da war die Idee von der Plastikbootfahrt schnell geboren, der Bootsname PETBurg erfunden.


Es geht um die Botschaft, aber mehr noch um den Spaß

Mit ihrer Aktion möchten die beiden darauf aufmerksam machen, dass es in Tschechien kein Plastikflaschen-Pfand gibt. Hätten sie das Boot in Deutschland gebaut, hätte es dank Einwegpfand 1.625 Euro gekostet. „In Tschechien hat Plastikmüll keinen nominalen Wert. Es ist einfach, nicht zu recyceln und wegzuwerfen“, erklärt Jan. Aber ganz ehrlich: Eigentlich geht es den beiden um den Spaß. Sie haben sich strahlend weiße Kapitänsuniformen nähen lassen – sie wollen schließlich nicht aussehen wie Schiffbrüchige, wenn sie in der Hansestadt ankommen – und zwei Matrosen an Bord geholt.

Kurz nach ihrem Start in Nymburk nordöstlich von Prag nähert sich die PETBurg einer Hängebrücke. Passanten bleiben stehen. „Was ist das denn?“, fragt eine Frau. Ein Radfahrer erklärt: „Das sind die Typen mit den Plastikflaschen, hab ich in der Zeitung gelesen, die sind klasse.“ Unter der Brücke springt eine Gruppe Jugendlicher in die Elbe, Jakub wirft ihnen einen Rettungsring mit der Aufschrift „Nymburk-Hamburg“ zu.


Nach Leibeskräften muss die Crew gegen den Wind strampeln

Den Spaß müssen sich die Vier auf den ersten Flusskilometern hart erarbeiten. Im weiten mittelböhmischen Flusstal herrscht Gegenwind, und da die Leergut-Konstruktion kaum etwas wiegt, müssen sie mit Muskelkraft dagegenhalten. Sie treten und treten, ein monotones Quietschen und Knacken begleitet sie. Wer nebenher läuft, lässt die PETBurg schnell hinter sich. Nach zwei Tagen hat die komplette Besatzung krebsroten Sonnenbrand, noch dazu hakt das Antriebssystem. Jakub muss noch einmal Werkzeug aus Nymburk bringen lassen. Und allein bis nach Sachsen ist es noch ein ganzes Stück: Frühestens Ende nächster Woche werden sie Dresden erreichen.

Für das Pedalsystem hat Tüftler Jakob abgesägte alte Fahrradrahmen eingebaut und die Zahnräder über Ketten mit zwei einfachen Schaufelrädern am Heck verbunden. Das Boot krönt eine Kabine aus Plastikflaschen mit einem Vorhang aus weißen, roten und blauen Flaschendeckeln, die zusammen die tschechische Trikolore ergeben. Die Besatzung sitzt auf ausrangierten Plastikstühlen. Bis auf den Holzrahmen – die Bretter hat ihnen ein Rentner aus Nymburk geschenkt – sowie Kabelbinder und Metallwinkel besteht das gesamte Boot aus Abfall.

Jan meint, die Menschen werfen vieles zu leichtfertig weg. Dabei machen die Tschechen im Vergleich eher wenig Müll: Laut Eurostat war es 2012 etwa halb so viel wie in Deutschland. Das liegt Experten zufolge auch daran, dass vor allem die ältere Generation in Osteuropa Dinge länger aufhebt. Beim Recyceln schneiden die östlichen EU-Staaten aber etwas schlechter ab: Im EU-Durchschnitt wird 42 Prozent der Haushaltsabfälle recycelt, in Tschechien oder Polen nur 25 Prozent.


Und wenn es mehr als einen Monat dauert – Hauptsache ankommen

Dass die Tschechen aber für Mülltrennung durchaus zu begeistern sind, zeigt die Aktion von Jan und Jakub. In ihrer Heimatstadt hatten sie improvisierte Container für die Plastikflaschen aufgestellt. „Die waren jeden Tag voll“, erzählt Jan. In vier Monaten hatten sie 6.500 PET-Flaschen beisammen, vier weitere Monate haben sie an der PETBurg gebastelt. So lange, dass sie schon überlegen, ob sie das Boot nicht doch lieber wieder mit nach Hause nehmen.

Dabei hat Jan schon das Recyceln mit dem Hamburger Stadtwerken vereinbart. Aber zur Entscheidung bleibt noch genug Zeit. Ein Monat, länger? Die Besatzung der PETBurg lässt sich treiben. Bis Hamburg rechnet Jan mit dem Schlimmsten, mit Kielbruch und Unwettern. Aber eines weiß er: „Ich will da ankommen!“


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