Deutschland

Deutsche Talkshows sind Russland-lastig

ostpol: Kritiker behaupten immer wieder, dass Talkshows im deutschen Fernsehen Stimmung gegen Russland machen. Stimmt dieser Vorwurf?

    
Fabian Burkhardt / privat

Fabian Burkhardt: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Viele Sendungstitel schüren zwar oberflächlich Angst vor Russland oder einem neuen Kalten Krieg. Doch die Vorwürfe, sie seien russlandfeindlich, werden letztlich ohne Begründung erhoben. Ich habe die Gäste von 30 Talksendungen in Kategorien eingeteilt. Heraus kam: Die Mehrheit gehörte zum Lager der Entspannungspolitiker. Sie warben für einen diplomatischen Umgang mit Russland. Nur 20 von rund 80 Gästen forderten mehr Härte gegenüber Putin.

Woher kommt diese Diskrepanz?

Burkhardt: Der Quotendruck spielt natürlich eine Rolle: Je reißerischer der Titel, desto höher die Quote. Gleichzeitig bleiben die Zuschauer nur dran, wenn sie bekannte Gesichter in einer Talkshow sehen. Die Sendungen haben deswegen überwiegend auf prominente Politiker und Publizisten gesetzt, die dann mehrheitlich für Entspannung gegenüber Russland plädierten.

Ukrainer fühlten sich in den Sendungen dagegen unterrepräsentiert. Stimmt der Eindruck?

Ja. Für die Untersuchung habe ich eigens einen Russland- bzw. Ukrainefaktor konstruiert. In 27 der 30 Talkshows war der Russlandfaktor höher. Das heißt: Bis auf drei Ausnahmen gab es immer mehr Gäste, die aus Russland stammten oder für Entspannung gegenüber Russland plädierten als Ukrainer oder Personen, die für eine schnelle Eingliederung der Ukraine in westliche Institutionen eintraten. Tendenziell ist die Ukraine also eher Objekt als Subjekt der Diskussionen.

Welche Gäste waren aus Russland, welche aus der Ukraine vertreten?

Auch hier waren die Rollen ungleich verteilt: In den Runden saßen mehrmals Vertreter der russischen Botschaft. Der ukrainische Botschafter dagegen war nie eingeladen. Stattdessen saßen die in Kiew geborene Piraten-Politikerin Marina Weisband oder der in Berlin lebende Sänger Yuriy Gurzhy in den Shows. Gurzhy macht zwar tolle Musik, aber ob er aus der Ferne die innenpolitische Lage in der Ukraine beurteilen kann, ist eine andere Frage.


Sind deutsche Talkshows einseitig?

Ex-Tagesschausprecherin Eva Herman wirft Talkmeistern wie Plasberg und Jauch antirussische „Propaganda“ vor. Der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel kritisierte, dass in den Talkshows überwiegend über die Köpfe der Ukrainer hinweg diskutiert wurde.

Die Studie:

Fabian Burkhardt untersuchte 30 Talkshows, die zwischen Mitte Dezember und Ende April 2014 in ARD und ZDF ausgestrahlt wurden. Die Einstellung der Gäste gegenüber Russland untersuchte er anhand ihrer Nationalität, politischen Partei und ihrer ideologischen Haltung.


Auffallend oft saßen auch Redakteure von russischen Staatsmedien in den Sendungen von ARD und ZDF. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Fünf von acht russischen eingeladenen Journalisten in den untersuchten Talkshows waren tatsächlich Auslandskorrespondenten von russischen Staatsmedien. Das liegt einerseits an der etablierten Einladungspraxis: Redakteure laden generell gerne Kollegen ein. Bedenklich ist, dass sich die Einschränkung der Medienlandschaft in Russland offenbar direkt auf die deutsche Berichterstattung auswirkt: Letztlich haben nur noch staatlich kontrolliere Medien in Russland das Geld, Auslandskorrespondenten einzustellen. Die Ukraine hat zwar eine pluralistischere, aber finanziell schlechter ausgestattete Medienlandschaft und war damit im Nachteil.

Hätten ARD und ZDF deutlicher darauf hinweisen müssen, dass es sich um Vertreter staatlicher Medien handelte?

Die Medien wurden korrekt bezeichnet. Es kommt natürlich darauf an, dass das auch bei den Zuschauern ankommt und wie viel Hintergrundwissen man voraussetzen kann.


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