Bosnien-Herzegowina

Ein Drittel Serbiens steht unter Wasser

„Endlich Sonne und kein Regen mehr“, sagt Miroslav Obrenovic sichtlich erleichtert. Innerhalb von drei Tagen prasselte der Niederschlag von drei Monaten auf die Region um seine Heimatstadt Bijeljina nieder, große Teile Bosnien-Herzegowinas und Serbiens stehen nach wie vor unter Wasser. Es sind die schwersten Unwetter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 120 Jahren. Jetzt, da die Wassermassen langsam zurückgehen, wird das ganze Ausmaß der Katastrophe ersichtlich.

„Wir hoffen, dass bald alle in ihre Häuser zurückkehren können. Das ist das Schlimmste, was uns seit dem Krieg passiert ist, eine Katastrophe biblischen Ausmaßes“, betont Obrenovic. Allein in Bijeljina in der bosnischen Teilrepublik Republika Srpska mussten mehr als 10.000 Menschen evakuiert werden, etwa 5.000 Wohnhäuser stehen unter Wasser. Trinkwasser, Essen, Medizin, Decken und Hygieneartikel – in den betroffenen Gebieten mangelt es an allem.


Kein Strom, nur Wasser

Am Sonntagabend bestätigte Obren Petrovic, der Bürgermeister des bosnischen Doboj, dass in der Stadt mindestens 20 Menschen ums Leben kamen. Der serbische Premier Alexander Vucic meldete, dass 12 Leichen in Obrenovac bei Belgrad gefunden wurden, und ergänzte: „Ich befürchte, dass diese Zahl weiter ansteigen wird.“ Die kroatischen Behörden meldeten ein Todesopfer und zwei Vermisste. Die Gesamtzahl der Todesopfer lag am Montagnachmittag nach offiziellen Angaben bei mindestens 46.

Das Städtchen Obrenovac nahe Belgrad ist noch immer komplett überschwemmt. Fast alle Einwohner wurden evakuiert. Die meisten von ihnen harren nun in Turnhallen in Belgrad aus und wissen nicht, wie es weiter gehen soll. Ein Drittel Serbiens steht unter Wasser, ein großer Teil der Ernte ist zerstört und die Kraftwerke bei Obrenovac und Kostolac sind von Wassermassen umschlossen. In ihnen werden etwa 75 Prozent des serbischen Elektrizitätsbedarfs produziert. Hunderttausende Menschen waren am Montag in Serbien noch ohne Strom.

Auch im bosnischen Maglaj ist die Stromversorgung noch nicht wiederhergestellt. „Ich habe versucht, zu meinem Haus zu kommen, aber das ist derzeit unmöglich. Wenigstens sind Menschen aus dem ganzen Land hier, um uns zu helfen“, sagt Anwohner Mirza Valjevac. Zugleich kritisiert er: „Manche Leute nutzen die Situation schamlos aus und verkaufen Trinkwasser und Lebensmittel zu völlig überteuerten Preisen.“


Die Minen könnten ins Meer gelangen

Nach der Flut kommen neue Probleme auf Bosnien-Herzegowina zu, denn als Erbe des Bürgerkriegs liegen noch etwa 120.000 Landminen auf 9.416 markierten Feldern. Sasa Obradovic, Mitarbeiter des Minenaktionszentrums, warnt: „Minen sind bereits in Gebieten aufgetaucht, in denen es sie zuvor nicht gab.“ Experten seien mit der Räumung beauftragt worden.

Dass die Fluten die Minen in Bewegung gesetzt haben, wird auch in den Nachbarländern mit Sorge beobachtet. Von den Nebenflüssen aus könnten sie in die Save, dann in die Donau und durch Rumänien und Bulgarien bis ins Schwarze Meer gespült werden. Die Sprengkörper sind schon unter normalen Umständen eine ständige Gefahr: Seit Kriegsende starben in dem Land mindestens 601 Menschen durch Landminen.

Um mit der Flut und ihren Folgen fertig zu werden, sind Bosnien-Herzegowina und Serbien auf Hilfe von Außen angewiesen. So leistet seit dem Wochenende etwa das deutsche Technische Hilfswerk mit Pumpen Hilfe in der Region. Russland hat bereits am Freitag Katastrophenhelfer und Equipment in die Krisenregion entsandt. EU-Krisenschutzkommissarin Kristalina Georgieva kündigte am Montag an, Serbien könne mit Hilfen von bis zu einer Milliarde Euro jährlich zur Beseitigung der Flutschäden rechnen. Für Bosnien-Herzegowina sei „die Situation komplizierter, da das Land keinen Kandidatenstatus hat“.


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