Teschen - Besuch in einer geteilten Stadt
Gibt es eine schlesische Identität? Was macht sie aus? Und wie zeigt sie sich im Alltag der Bewohner dieser Region? Wer eine Antwort auf diese Fragen sucht, kann im Teschener Schlesien mit seinen Besonderheiten fündig werden. Die beginnen mit der Teilung der Region 1920, gehen weiter über die konfessionelle Vielfalt und enden bei einem ganz speziellen Idiom, mit dem sich die Bewohner auf beiden Seiten des Grenzflusses Olsa verständigen. »Po naszemu« nennt es sich, was man auf Deutsch wahrscheinlich am besten mit »auf unsere Art« wiedergeben kann.
Geteilte Städte
Thementag zu den deutsch-polnischen Beziehungen an Oder und Neiße nach 10 Jahren EU-Osterweiterung
7. Mai, Collegium Polonicum in Slubice
veranstaltet vom Deutschen Kulturforum östliches Europa »Infos
Immer noch ein multikultureller Charakter
Wer in einer solchen Bezeichnung Stolz auf die eigene regionale Identität und ein klein wenig auch Eigensinn und Trotz gegen die Obrigkeit heraushört, liegt nicht ganz falsch. Denn trotz der historischen Wirren des 20. Jahrhunderts, der Vertreibungen und Teilungen hat sich in diesem populären Verständigungsmedium der multikulturelle Charakter der Region bewahrt. Polnisch, Tschechisch, Deutsch, Jüdisch – von allem etwas. Das hört und sieht man im Teschener Schlesien.
Leider gerät dieses Gebiet trotzdem nur selten ins Blickfeld der deutschen Öffentlichkeit. So hat es einige Berechtigung, wenn eine Exkursion unter dem Motto »Vergessene Regionen« diesen nordöstlichen Zipfel des ehemaligen Habsburgerreiches bereist.
Dass die heutige Grenzregion zwischen Tschechien und Polen letztendlich gar nicht so peripher liegt, wie man meinen könnte, bemerkt man erfreut bei der Anreise mit der Bahn. Über Prag und Ostrau/Ostrava gibt es gleich mehrere Verbindungen am Tag. Die bunte, 21-köpfige Reisegruppe aus ganz Deutschland kommt dann auch schnell beim gegenseitigen Kennenlernen ins Gespräch über die Region und deren bewegte Geschichte.
Eine geteilte Stadt
Grenzen in Osteuropa haben ja meist einen ziemlich künstlichen Charakter. Eine Grenze mitten durch eine Stadt zu ziehen, ist aber auch für osteuropäische Verhältnisse etwas Spezielles. Heute kann man sich solch eine Entscheidung kaum mehr vorstellen, doch in der bewegten Zeit kurz nach dem Ersten Weltkrieg wusste man offenbar keinen anderen Ausweg als eine Teilung des damaligen Teschen. So entstanden als Resultat zwei neue Städte: auf der tschechischen Seite Český Těšin mit dem alten Bahnhof und der Industrie, auf der polnischen Seite Cieszyn mit der wunderschönen, noch österreichisch geprägten Altstadt.
Für die Bewohner muss das damals eine große Herausforderung gewesen sein. Trotz der neuen Grenzziehungen – zusammenleben musste man ja weiterhin. Kirchen, Krankenhaus, Bahnhof, Wasserversorgung – die soziale Infrastruktur hielt sich nur selten an die neuen politischen Grenzen. So entstand im Lauf der nächsten Jahrzehnte ein spannender Modus der Kooperation. Läuft man durch die Stadt, oder genauer gesagt die Städte, so sieht man einige Spuren dieser Geschichte – Zeichen einer zerrissenen Stadt, aber auch Zeichen der Annäherung: Brücken, Cafés, die wieder verkehrende Straßenbahn. Besonders die europäische Einigung hat in den letzten Jahren viel zur gegenseitigen Annäherung beigetragen. Im wieder eröffneten jüdischen Café Avion direkt am alten Schlagbaum sitzend, lernt man Reisefreiheit und offene Grenzen neu zu schätzen.
Dass sich jüdische, deutsche, polnische und tschechische Bewohner der Stadt auf einmal zwischen Staaten, Städten und Religionen entscheiden mussten, und was mit einer solchen Entscheidung verbunden war, erfahren wir unter anderem beim Besuch der evangelischen Gemeinde in Cieszyn. Das Herzogtum Teschen war im sonst überwiegend katholischen Habsburgerreich mit seinem hohen protestantischen Bevölkerungsanteil eine Besonderheit. Der evangelische Glaube passte aber nicht allen in Wien und so mussten Kirchen und Gemeinden den Machthabern über lange Zeit regelrecht abgetrotzt werden.
Noch eindrucksvoller wird dann der Besuch des jüdischen Friedhofes. Als wir bei Regenwetter an den Stadtrand Teschens wandern, umgibt uns ein Hauch Nostalgie. Die verwitterten Grabsteine sind Träger verwehter Spuren, Erinnerungsorte einer vergangenen Welt. Die jüdische Geschichte der Stadt rückt erst nach und nach wieder ins Blickfeld der Bewohner. Die eindrucksvollen Biografien der Teschener Juden sollten nicht vergessen werden – auch wenn ihre Namen auf den Grabsteinen langsam verblassen.
Industriegeschichte und Bergromantik
Dass das Gebiet um Teschen einmal eine boomende und moderne Industrieregion war, erfahren wir am nächsten Tag, als wir auf der traditionellen Strecke der Kaschau-Oderberger-Bahn ins industrielle Ostrau/Ostrava fahren. Dort besuchen wir die tschechische Variante der deutschen Welterbestätte Zeche Zollverein: die Grube Michal, zu ihrer Zeit eine der modernsten Anlagen. Sie war immerhin bis 1993 in Betrieb – und das mit einer Technik, die im Wesentlichen noch aus der Zeit des Ersten Weltkriegs stammte. Dass das Museumskonzept versucht, den Funktionszustand so gut wie möglich zu erhalten, macht die Grube zu einem lohnenswerten Ausflugsziel im touristisch sonst eher wenig beachteten Ostrau/Ostrava.
Als wir nach diesen Impressionen nach Bielitz/Bielsko-Biała in Polen weiterfahren, treffen wir eine Person, die uns allen noch lange im Gedächtnis bleiben wird: die polnische Kunsthistorikern Ewa Chojecka, Georg Dehio-Preisträgerin 2013 und die Verkörperung der multikulturellen, mehrsprachigen und bewegten oberschlesischen Geschichte. Während ihrer Führung durch die pittoreske, habsburgisch geprägte Altstadt von Bielitz/Bielsko-Biała erweckt sie die Geschichte des Ortes und seiner Gebäude, vom alten Bahnhof bis zur Synagoge, vor unseren Augen zum Leben. Die Führung endet standesgemäß im ersten Café der Stadt. Heutzutage gilt das gemeinsame oberschlesische Kulturerbe grenzüberschreitend als bewahrenswert, die alten nationalen Chauvinismen sind nahezu gänzlich verschwunden. Dafür sind nicht zuletzt engagierte Wissenschaftlerinnen wie Ewa Chojecka verantwortlich.
Pittoreske Berggipfel
Bis jetzt könnte man wahrscheinlich glauben, dass die Region um Teschen vor allem wegen ihrer Kunst, Kultur und Geschichte einen Besuch wert wäre. Das stimmt und ist doch nur die halbe Wahrheit. Denn auch für Freunde der Natur lohnt sich ein Abstecher in diese Umgebung, genauer gesagt, zu den pittoresken Berggipfeln der Beskiden. Hoch oben in einer Berghütte mit malerischer Aussicht ins Tal lassen wir bei Lagerfeuerromantik, polnischem Essen und Bier die Exkursion langsam ausklingen. Am nächsten Morgen, auf der Rückfahrt nach Český Těšin, blickt man in etwas müde, aber rundum glückliche Gesichter. Wir werden diese Exkursion, die von Ariane Afsari vom Deutschen Kulturforum östliches Europa hervorragend organisiert und von Dorothee Ahlers von der Universität Passau kompetent begleitet wurde, noch lange im Gedächtnis behalten. Zumindest für uns zählt das Gebiet Teschen jetzt nicht mehr zu den vergessenen Regionen Europas.