Russland

Die Russen und die Krimkrise

„Kein Krieg“ steht auf Oxana Efimenkos Schild. Die junge Frau hat sich mit etwa 20 weiteren Demonstranten auf dem Theaterplatz von Omsk versammelt. Ihr Atem steigt in den kalten, blauen Himmel über der sibirischen Millionenstadt, 3.000 Kilometer von der Krim entfernt. „Ich bin gegen Krieg und die Einmischung in ukrainische Angelegenheiten”, sagt sie. Die Lehrerin hatte schon befürchtet, mit ihrer Meinung allein dazustehen. Anders als die meisten hier hat Oxana einen persönlichen Bezug zum Thema: Ihr Vater ist Ukrainer, ihre Verwandten haben in Kiew Demonstranten mit Essen versorgt.

Was die Passanten an diesem sonnigen, eiskalten Tag denken, ist kaum auszumachen. Nach ihrer Meinung befragt bleiben viele vage oder sagen, sie interessierten sich nicht für Politik. Polizei ist auch nicht zu sehen. Nur eine Gruppe dunkel gekleideter Männer halte sich auffällig unauffällig in der Nähe auf, bedeutet Oxana. Eine Kulisse, die ihr schon aus anderen Situationen zivilen Engagements vertraut sei. Ihr Mitstreiter Wassili Melnitschenko findet klare Worte: „Putin und seine Bande sollen sofort die Soldaten abziehen.” Der 41-jährige Künstler warnt: „Unter diesem paranoiden Zaren ist Russland eine Gefahr für die ganze Welt.”


Sündenbock für eigene Probleme

Oxana und Wassili sind mir ihrer Meinung in der Minderheit. Die Zustimmung zu Putin ist laut Umfragen zuletzt russlandweit von 40 auf 68 Prozent gestiegen, melden russische Medien. Statistiken aber wird allgemein kaum vertraut. Wie in anderen Teilen der Provinz schaut man in Omsk auf das persönliche Wohl und bewertet danach die Politik. Die Stadt hat eine militärische Tradition, noch immer gibt es hier eine Kadettenanstalt und Rüstungsindustrie. Seit die einst sprudelnden Einnahmen aus der Ölindustrie nach St. Petersburg zu Gazprom umgeleitet werden, ist die wirtschaftliche Lage schwierig.

Die Regierung präsentiere mit ihrem Konfrontationskurs auf der Krim Sündenböcke für die wirtschaftlichen Probleme, meint Wassili. Dass diese Schwierigkeiten nicht vom Ausland, sondern vom Kreml verursacht seien, verschweige die Propaganda. „Putin will in die Geschichte eingehen. Dafür nimmt er in Kauf, Russland zu isolieren und zu schaden“, sagt er. Oxana meidet daher russisches Fernsehen oder Radio seit Jahren: „Kein Vertrauen, bei mir zu Hause ist es still.”

Omsk ist von Peking kaum weiter entfernt als von der Krim. Aber in Sibirien zählt Entfernung nicht. Die Ukraine gilt als Wiege der russischen Kultur, und die ausführliche Berichterstattung trägt den Konflikt in den Alltag. Reißerische TV-Trailer kündigen die Meldungen über marodierende Faschisten und bedrohte russische Familien an. Viele Russen erkennen, dass die Nachrichten eine Aura der Inszenierung umgibt. „Die Menschen vom Maidan werden als Aggressoren präsentiert, obwohl wir wissen, dass das nicht wahr ist”, analysiert die 24-jährige Übersetzerin Olga, die kürzlich von Omsk nach Moskau gezogen ist. „Die Medien behaupten, das ganze Land unterstütze Putin.”


Wahlfälschung scheint programmiert

Zuspruch für das russische Vorgehen findet man auch in Omsk leicht. Ekaterina Marina koordiniert das Büro einer internationalen Studentenorganisation, sie hat Freunde in aller Welt. Dass Russland jetzt so in der Kritik steht, versteht die 29-Jährige nicht. „Ukrainer und Russen sind Brüder. Ein paar Radikale werden das nicht ändern”, sagt sie. Die Krim gehöre nicht zu Russland, jedoch gehe das Vorgehen Putins in die richtige Richtung, wenn man eine friedliche Lösung wolle: „Die Ukrainer und die Russen vor Ort brauchen Unterstützung, weil ihr eigener Präsident sie in dieser Situation alleingelassen hat.”

Egor, Ekaterinas Mann, hält das Eingreifen der Armee für fragwürdig. Er meint aber, dass Russland handeln musste, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. „Mich stört vor allem”, fügt er hinzu, „dass man in Europa und Amerika dazu neigt, die Kremlpropaganda zu verurteilen, anstatt sich damit zu beschäftigen, was wirklich passiert ist: das von der Opposition gebrochene Abkommen mit Janukowitsch, die Ultranationalisten in der neuen Regierung und deren Anerkennung durch westliche Politiker.“ Putin gewählt habe er nicht, sagt Egor noch.

Wenn am Sonntag auf der Krim das Referendum über den Beitritt zur Russischen Föderation statt findet, rechnet die Demonstrantin Oxana fest mit Wahlfälschung – „wie hier in Russland”. Sie hat Sorge, dass die Lage weiter eskalieren könnte. „Die ukrainische Gesellschaft ist politisierter als unsere”, glaubt sie. Doch sie meint, das Land werde mit der Situation schon fertig – und dann hoffentlich freier. „Mit Panzern hilft man niemandem.”


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