Informationskrieg auf der Krim
Viele Berichte der russischen Staatsmedien folgen der offiziellen Darstellung des Kreml: Russia Today oder der Erste Kanal sprechen von einer akuten Bedrohung der Krim-Bürger durch Ultranationalisten und bewaffnete Extremisten aus Kiew, die nach einem verfassungswidrigen Umsturz die Macht in der Hauptstadt ergriffen hätten. Diese so genannten „Banderowtsi“ – benannt nach dem ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera – würden die Krim nun einnehmen wollen. Immer wieder heißt es, dass solche Kräfte bereits auf dem Territorium eingesickert seien: Gegen sie müssten die Lokalbehörden und Freiwillige nun vorgehen.
Selbstzensur auch in ukrainischen Medien
In diesem Bedrohungsszenario scheint die Machtergreifung von Sergej Aksjonow und die russische Besetzung der Krim nur allzu legitim – und wird als Akt der Selbstverteidigung und Hilfeleistung dargestellt. Fakt ist, dass bis heute keine angeblichen „Provokateure“ aus der Westukraine oder Kiew auf der Krim aufgetaucht sind. Gefragt nach konkreten Fällen der Bedrohung russischstämmiger Bürger auf der Krim, konnte Premier Aksjonow bei seiner gestrigen Pressekonferenz in Simferopol keinen Fall nennen. Stattdessen beschimpfte er den Journalisten, der die Frage gestellt hatte: „Leben Sie denn im Vakuum?“ Glaubt man russischen Berichten, dann haben sich die ukrainische Truppenverbände schon längst ergeben. Auf der Krim sei es, wie es phrasenhaft heißt, „ruhig und friedlich“.
Ukrainische Medien schlagen demgegenüber in diesen Tagen gerne patriotische Töne an. Das Thema der „Überläufer“ verfolgen sie nicht – auch hier gibt es offenbar Selbstzensur. In den ukrainischen Berichten treten nur stolze Soldaten vor die Kamera, die das Niederlegen der Waffen ausschlagen; man berichtet von Solidaritätsaktionen und einer Demonstration von „Müttern gegen den Krieg“.
Ukrainische TV-Sender strahlen seit ein paar Tagen mit einem gemeinsamen Logo aus: Von Oppositionssendern wie dem „Fünften Kanal“ bis zum bisher regierungsnahen „Inter“ zeigen sie im linken Bildrand eine ukrainische Fahne mit den Worten „Einige Ukraine“. In kurzen Interviews wenden sich Ukrainer an ihre Mitbürger auf der Krim und fordern sie zum Zusammenhalt auf. Ob dort diese Aufrufe gehört werden, ist fraglich: Russische Sender sind das übliche Informationsmittel der Mehrheit der Bürger. Sender werden von der russischsprachigen Bevölkerung kaum konsumiert.
Der Konflikt hat Folgen für die Medienfreiheit vor Ort: Offenbar wollen die Behörden kritische Stimmen ausschalten. Seit Montag ist das Programm von „Schwarzmeer-TV“ unterbrochen. Es war der größte Oppositions-nahe Sender auf der Halbinsel. Der einzige TV-Sender, der nun in der ganzen autonomen Republik erreichbar ist, ist der Staatssender „Krim“. „Schwarzmeer“-Chefin Ljudmila Schurawlowa sagt, sie habe keine offizielle Erklärung erhalten. Fakt sei aber: „Jetzt können die Bürger nur einen Kanal empfangen, wo jene Informationen ausgestrahlt werden, die jenen genehm sind, die nun an der Macht sind.“ Ajder Muradosilow, Kreativdirektor des für seine kritische Berichterstattung bekannten krimtatarischen Senders ATV befürchtet, sein Kanal könnte der nächste sein: „Wir rechnen jeden Moment damit, abgeschaltet zu werden.“
Redaktionsräume und Webseiten werden attackiert
Einen Tag zuvor hatte Bewaffnete das Büro des unabhängigen „Zentrums für journalistische Recherchen“ gestürmt und eine Pressekonferenz dort abgehalten. „Falsche Informationen“ würden hier verbreitet, erklärte der prorussische Aktivist Konstantin Knyrik. Mittlerweile sind die Besetzer wieder abgezogen, die Journalisten arbeiteten wieder, so Redakteurin Anna Schajdurowa. Das Zentrum, zu dessen Förderern die amerikanische USAID gehört, kämpft jedoch mit Behinderungen: Die Webseite ist Attacken ausgesetzt. Zu den Behördensitzungen erhalten die Journalisten keinen Zutritt mehr.
„Wir können nicht beobachten, ob das Quorum erfüllt wird oder die Abstimmungen rechtens vor sich gehen“, sagt Schajdurowa. Nur noch russische Medien würden vorgelassen. Aksjonow kündigte gestern an, dass künftig alle Journalisten wieder Zutritt zu den Sitzungen erhalten würden. Gleichzeitig tönte er: „Die ukrainischen Medien gehören den Oligarchen, die versuchen, unsere Handlungen zu diskreditieren.“
Mit der Zuspitzung der Lage ist auch das Misstrauen gegenüber Journalisten gestiegen. An den Straßensperren vom Festland zur Krim, die von prorussischen Milizen kontrolliert werden, werden Journalisten an der Einreise gehindert. Von tätlichen Übergriffen ist zu hören. Immer wieder werden Berichterstatter von prorussischen Aktivisten mit fragwürdigen Argumenten an ihrer Arbeit gehindert. Die Verdächtigung, Agent zu sein oder eine vom Westen bestellte „Agenda“ zu verfolgen, ist in diesen Tagen häufig hören – auch von ganz normalen Bürgern.
Dass sich die Pressefreiheit auf der Krim weiter verschlechtern könnte, deutet eine Ankündigung der Krim-Behörden vom Wochenbeginn an. Darin heißt es: „Wenn die negative Informationskampagne nicht aufhört, sind wir gezwungen den unwahren und nicht objektiven Informationsfluss zu unterbrechen, um die Bevölkerung von den negativen Auswirkungen zu schützen.“
In wenigen Tagen antwortet an dieser Stelle der russische Journalist Oleg Kaschin.