Bukarest. Blut und Staub
Und hier ist es nun. Das Gebäude mit den Eigenschaften eines schwarzen Lochs, erbaut allen menschlichen Bedürfnissen und menschlichen Maßstäben zum Trotz. Der Parlamentspalast oder, wenn man so will, das „Haus des Volkes“. Beim bloßen Gedanken, es zu betreten, wird mir ganz anders. Als ich die Umzäunung entlang auf den einzigen Eingang zugehe, ist die Umgebung so gleichförmig, dass ich den Eindruck habe, auf einem Fließband immer auf derselben Stelle zu treten.
Die Museumsangestellte, die durch das Haus des Volkes führt, wirkt sehr zufrieden mit dem Bau. Von unserer Gruppe, deren anonymer Teil ich bin, erwartet sie sichtlich Erstaunen und Begeisterung und fängt mit dem Lächeln einer satten Katze unsere ungläubigen Blicke auf, als sie erzählt, mit was für Goldsprenkeln die Wände gespachtelt sind, welche Gruppierung von Ordensschwestern wie viele Kilometer Vorhang mit welchen Schnörkeln bestickt hat. Was zählt, sind Dicke, Breite, Gewicht und Größe, die Größe des rumänischen Volkes.
Am 27. September um 19 Uhr liest Malgorzata Rejmer aus ihrem Reportageband in der deutsch-polnischen Buchhandlung Buchbund in Berlin.
ostpol ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe „Reportagen ohne Grenzen“.
Ein Palast wie vom Mond
Heute ist Ceausescus Pyramide der Gier - diese Marmorscheune zum Lob seines Hochmuts und Wahnsinns, die ein Palast aus reinem Gold hätte sein sollen und sich schlussendlich als sein Luxusgrab erwies - die größte Touristenattraktion Bukarests. Menschenmengen aus aller Welt kommen her und können sich nur wundern, wie einfach das im Grunde doch ist: tausende Häuser, zig Kirchen, ein paar Schulen und Krankenhäuser abzureißen und einen Palast wie vom Mond dort hinzustellen.
Wir erfahren nicht, ob es irgendwelche Schäden gab, irgendwelche, sagen wir, Verluste. Solche Details behält die Gruppenführerin für sich. Die offizielle, zusammen mit der Eintrittskarte verkaufte Narration über das Haus des Volkes ist ein Epos der Zahlen, Materialien, Quadratkilometern Spiegelfläche und der Mehlmenge zur Teppichreinigung. Zum Zwecke der Führung wäre es dienlich anzunehmen, Ceausescu habe es nie gegeben, den Kommunismus auch nicht, den Abriss des Stadtviertels nicht, in Rumänien habe seit jeher Demokratie geherrscht, und das Haus des Volkes habe der römische Kaiser Trajan im 2. Jahrhundert unserer Zeit als seine Sommerresidenz erbaut. Noch irgendwelche Fragen?
Ceausescus Pyramide
Ich möchte wissen, wie viele Menschen beim Bau des Hauses umgekommen sind. Die Gruppenführerin ist leicht eingeschnappt, fängt sich aber schnell wieder und sagt, zehntausend seien es gewesen.
Das scheint mir viel zu viel, und ich teile ihr meine Zweifel mit. Aber die Gruppenführerin hat noch immer den Eindruck, so viele seien es gewesen. Und ich bin noch immer verwundert.
Daher sagt sie nun, es sei ganz logisch, dass von den hunderttausend beim Bau Beschäftigten zehntausend umgekommen seien. Um mich zu überzeugen, fügt sie hinzu, dass viele Arbeiter in die Fundamente mit einbetoniert worden seien, denn das Arbeitstempo sei so mörderisch gewesen, dass niemand Zeit gehabt habe, die Leichen fortzuschaffen. Ab dem ersten Spatenstich hätten die Arbeiter nämlich in drei Schichten vierundzwanzig Stunden am Tag gearbeitet. „Dann ist also das Haus des Volkes ein einziger großer Friedhof“, stelle ich fest.
„Aber wie kommen Sie denn darauf?“, wundert sich die Gruppenführerin milde. „Beim Bau der Cheops-Pyramide sind schließlich auch Menschen umgekommen, und was heißt das schon? Was haben die Ägypter jetzt für wunderschöne Pyramiden. Die kann ihnen keiner mehr nehmen.“ Ich antworte, das sei vor viereinhalbtausend Jahren gewesen. „Sicherlich“, stimmt die Führerin zu. „Da sehen Sie, wie lange das her ist! Und denkt jetzt noch jemand an die Menschen, die damals umgekommen sind? Werden sie von irgendjemandem erwähnt? Nein, niemand denkt mehr daran. Die Menschen vergessen. Dass beim Bau dieses Palastes Menschen umgekommen sind, wird am Ende auch keiner mehr wissen. Irgendwann wird niemand mehr die Rumänen damit behelligen, und dann können sie sich in Ruhe an diesem Wunder der Architektur erfreuen.“ Keine weiteren Fragen, beschließt sie und führt uns weiter.
Bitte nennen Sie nicht meinen Namen
Aber nun will jemand anderes wissen, wie das mit dem unterirdischen Bereich unter dem Haus des Volkes sei. Angeblich sei unter der Erde eine zweite kleine Stadt gewachsen, ein Atombunker und ein Gang, der aus Bukarest hinausführe.
„Davon ist mir nichts bekannt“, die Museumsangestellte schüttelt den Kopf. „Das heißt, es gibt solche Gerüchte, aber wozu über Gerüchte reden? Bitte kaufen Sie sich eine Karte für eine unterirdische Führung, meine Kolleginnen erzählen Ihnen dann alles.“
Sie richtet sich pfeilgerade auf und gibt damit zu verstehen, dass ihr Wohlwollen nun ein Ende hat. „Es freut mich, Ihnen mitteilen zu dürfen“, teilt sie uns mit, „dass Sie bei der heutigen Führung gerade einmal fünf Prozent des Gebäudes besichtigt haben.“ Als die Gruppenführerin zum Abschied das letzte Mal mit dem Kopf nickt, geht eine der Touristinnen zu ihr hin und sagt auf Rumänisch: „Das ist ein Skandal!“
Die Führerin antwortet ihr etwas, das ich nicht verstehe, läuft die Treppe hinunter und stellt sich neben einen Wachmann, mit dem sie sofort eine Unterhaltung beginnt. Ich versuche noch, herauszubekommen, wie es sich so arbeitet im Haus des Volkes, bis sie mich misstrauisch anblickt:
„Schreiben Sie etwa einen Artikel?“
Ich nicke.
„Dann nennen Sie nicht meinen Namen.“
Ein unsichtbares Gebäude
Als ich nach dem Gespräch mit Mironov die Kogalniceanu-Straße hinuntergehe, blitzt das Bukarester Mordor zwischen den Häusern hervor wie ein massiges lauerndes Ungeheuer mit Hunderten von kleinen schwarzen Fensteröffnungen und einem unendlichen Geschnörkel aus kitschigen Ornamenten, ein in der diesigen Luft verfließendes Monstrum, eine gigantische, die Stadt beobachtende Krake. Am Tag erinnert das Haus des Volkes an ein riesiges Geschwür, das das Gewebe der Stadt geschluckt hat. Wenn es in der Nacht angeleuchtet wird – was nicht oft vorkommt – sieht es wie ein Raumschiff aus.
Aber für viele Rumänen ist es ein unsichtbares Gebäude. Obwohl es selbst von den entlegensten Bukarester Bezirken aus zu sehen ist, haben sich einige Einwohner bis heute nicht mit seiner Existenz abgefunden. „Ich war nie drinnen und werde es auch nie betreten“, sagt die 58-jährige Maria Popescu, Sekretärin in einer Installationsfirma für Überwachungssysteme. In Wirklichkeit heißt sie anders, aber sie bittet mich, im Text weder ihren Vor- noch ihren Nachnamen zu erwähnen. – „Ich hasse Ceausescu und ich hasse das System, in dem ich gelebt habe. Der Boulevard des Sieges des Sozialismus sollte eine großartige Promenade sein, aber ich gehe nie dorthin und kenne auch niemanden, der das tun würde. Wenn ich in diese Gegend fahre, nehme ich einen Weg, auf dem ich den Bau nicht sehe. Für mich existiert er nicht.“
Palast statt Brot
„Natürlich bin ich stolz auf ihn“, sagt der 48-jährige Herr Cristi, Inhaber einer Kette von Secondhandläden. „Er ist doch wunderschön! Und groß! Nirgendwo auf der Welt gibt es so etwas. Man kann über Ceausescu die schlimmsten Dinge sagen, aber mit diesem Bau hat er die wahre Größe unseres Landes gezeigt.“
Das Gespräch mit Herrn Cristi gibt mir zu denken. Als ich ihn nach den Unannehmlichkeiten des Lebens im Rumänien der 1980er Jahre frage, antwortet er:
„Die gab es nicht.“
„Aber“, wundere ich mich, „die Wohnungen waren doch unbeheizt, und für Essen stand man Schlange.“
„Nun ja, vielleicht war es bei manchen Leuten kühler, aber das waren Einzelfälle. Und Essen gab es auch, so viel man wollte.“
„Angeblich überstieg die Temperatur in den Wohnungen nie sechzehn Grad, und in den Geschäften gab es kaum Fleisch, Zucker, Mehl, Butter, nicht einmal genug Kartoffeln.“
„Woher wollen Sie das wissen?“
„Ich habe es in Büchern gelesen und von vielen Rumänen gehört.“
„Das ist nicht wahr, da hat man Sie belogen.“
„Da hat man Sie belogen“ ist der Refrain in vielen Gesprächen, ähnlich wie „Bitte nennen Sie nicht meinen Namen.“
Aus dem Polnischen von Lisa Palmes
Malgorzata Rejmer
Bukareszt. Kurz i krew
Wydawnictwo Czarne
ISBN: 978-83-7536-539-9