„Künstler verlieren ihre Existenz“
ostpol: Herr Fliegauf, Sie sind einer der international profiliertesten Filmemacher Ungarns. Wie steht es derzeit um die Freiheit von Künstlern in Ihrem Land?
Benedek Fliegauf: Es ist schwierig. Viele meiner Kollegen sind verzweifelt. Dabei haben wir Filmemacher es noch vergleichsweise einfach. Die rechtskonservative Regierung von Viktor Orban konfrontiert uns zwar mit einer tendenziösen staatlichen Filmförderung, aber zumindest existiert überhaupt noch eine Förderung, an die man sich anpasst oder eben nicht. Das System funktioniert raffinierter, als es die deutschen Medien oft darstellen: Es gibt keine Zensur, sondern tendenziöse Vorgaben. Und wenn du diese nicht befolgst, kannst du nicht mehr arbeiten. Du verlierst Deine Existenz.
ostpol: Wie sieht es bei anderen Kulturschaffenden aus?
Fliegauf: Bildende Künstler, Tänzer und die alternative Theaterszene sind noch viel härter von der Situation betroffen. Gerade das alternative Theater, das in Ungarn eine lange Tradition hat und von großer Bedeutung ist, ist heute einfach nicht mehr existenzfähig. Die Regierung hat ihm die kompletten Mittel entzogen.
Benedek „Bence” Fliegauf, geboren 1974 in Budapest, ist einer der profiliertesten Filmemacher Ungarns. 2004 war er mit „Dealer” Gast des Forums der Berlinale. 2007 erhielt er in Locarno den Hauptpreis für „Milky Way”. 2012 gewann er für „Just the Wind” den Silbernen Bären der Berlinale.
ostpol: Statt dessen verteilt die Regierung Geschenke an ihre eigenen Ideologen. Das Neue Theater in Budapest beispielsweise leitet seit einem Jahr der rechtsradikale Intendant György Dörner.
Fliegauf: Auch diese Tendenz ist eine Katastrophe. Die Kultur funktioniert nicht mehr demokratisch. Das Neue Theater, wo sie diese krypto-faschistischen Idioten ernannt haben, ist leer, niemand geht dort hin. Das alles ist schrecklich. Die Organisation der Kultur findet auf eine autokratische Weise statt. Es werden ständig neue Pyramiden gebaut, an deren Spitze einzelne Personen stehen und ganz oben dann Viktor Orban. Die Vielfalt der ungarischen Kultur geht verloren.
ostpol: Ihr Film „Just the Wind“ erhielt 2012 auf der Berlinale den Silbernen Bären. Es geht darin um eine Mordserie an Roma und um den Alltagsrassismus in Ungarn. Was waren Ihre Beweggründe?
Fliegauf: Die Roma-Morde haben mich sehr erschüttert. Seit dem Holocaust hat es solch einen grausamen und eiskalt geplanten Angriff gegen eine Ethnie in Ungarn nicht mehr gegeben. Als diese Morde passierten, spürte ich plötzlich, wie das Gewicht dieser Ereignisse auf mir lastete. Ich musste als Künstler, als Intellektueller, Stellung dazu beziehen.
ostpol: Die Orban-Regierung reagierte mit einer seltsamen Kampagne: Sie ließ auf der Berlinale Flugblätter verteilen, die klarstellen sollten, dass der Film zwar auf einer wahren Begebenheit beruhe, aber dennoch reine Fiktion sei. Wie haben Sie darauf reagiert?
Fliegauf: Die Regierungs-PR kam meinem Film einerseits sehr zugute. Sie lenkte die Aufmerksamkeit der internationalen Medien auf den Film. Zum anderen hat sie dem Image Ungarns geschadet. Der Witz ist, dass die Politiker die Kampagne zum Schutz des Ansehens von Ungarn gedacht haben. Dieser Schuss ging nach hinten los. Das hat mich amüsiert. Ich habe mich zurück gelehnt und mir gedacht: Diese Aktion repräsentiert die unglaubliche Unwissenheit, die bei den ungarischen Machthabern vorherrscht.
ostpol: Tendenziöse Vorgaben und direkte Eingriffe in die Kultur, sowie Regierungs-PR für oder gegen Filme: Inwiefern kann man in Ungarn eigentlich noch von einer gesunden Demokratie sprechen?
Fliegauf: Gar nicht. Es existiert nur noch eine Scheindemokratie. Und sie existiert nur, weil die Fidesz-Leute sie für ihre Interessen benötigen. Das sind Geschäftsleute. Der Fidesz ist wie ein Wirtschaftsunternehmen. Alles wird dem eigenen Geschäftsinteresse untergeordnet: Der Vermehrung des eigenen Reichtums. Damit dieses Geschäft funktionieren kann, hat man ihm eine Ideologie angeheftet. Jedoch sind sie auf den demokratischen Schein angewiesen. Es ist ihnen wichtig, dass Ungarn wie ein demokratischer Staat erscheint. Dabei ist es das längst nicht mehr.