Kroatien

Wahlmüdigkeit schon vor EU-Beitritt

„Die Europa-Wahl bekommt nicht genügend Aufmerksamkeit. Die Kandidaten sind kaum bekannt“, sagt der bekannte kroatische Philosoph und Aktivist Srecko Horvat. Horvat, der sich in seiner Heimat mit einer jährlichen Demokratie-Konferenz einen Namen gemacht hat, ist einer der wenigen, die überhaupt über die am 14. April anstehende Wahl zum Europäischen Parlament Bescheid wissen.

Kroatien tritt am 1. Juli der Europäischen Union bei und soll dann mit zwölf Abgeordneten im Europäischen Parlament in Brüssel und Straßburg vertreten sein. Doch nur die wenigsten interessiert die Wahl: Einer der 366 Kandidaten, die sich auf einer der 28 Listen zur Wahl stellten, sagte in einem Interview, dass sein Zahnarzt beispielsweise erst von ihm während der Behandlung von den EU-Wahlen erfuhr.

Eigentlich ist das Desinteresse an dem europäischen Urnengang durchaus typisch. Auch in anderen Ländern werden Europa-Wahlen meist wenig beachtet, weil nur die wenigsten Bürger überhaupt wissen, was im Europäischen Parlament passiert. Außerdem stellt die Mehrheit im Europäischen Parlament keine Regierung, was den Wahlkampf relativ uninteressant macht. Doch so kurz vor dem EU-Beitritt ihres Landes müssten die kroatischen Medien zumindest besser über die Bedeutung des Urnengangs aufklären, kritisiert Dragan Zelic von der Nichtregierungsorganisation GONG. „Die Wahl wird banalisiert“, sagt der Beobachter.


Kandidaten bleiben blass

Wer derzeit in Kroatien Zeitung liest oder fernsieht, gewinnt den Eindruck, als würde die Wahl nur jene zwölf „Privilegierten“ betreffen, die den Einzug ins Europäische Parlament schaffen und Kroatien bis zur im Juli 2014 anstehenden Neuwahl des Parlaments vertreten. Radiomoderatoren lästern über das hohe Gehalt der Parlamentarier oder prüfen die Kandidaten auf ihre Englischkenntnisse. Diese sind zu einer Art Dauerwitz geworden, seit sich eine kroatische Beobachterin im EU-Parlament mit einer in schlechtem Englisch gehaltenen Rede in Brüssel blamiert hatte.

Allerdings liefern die Kandidaten den Medien auch keine Themen. Ob Bankenrettung, Steueroasen oder Zypernrettung – kein Kandidat hat sich zu diesen Themen bisher geäußert. Laut einer aktuellen Meinungsumfrage des kroatischen Fernsehens wollen lediglich 47 Prozent der Bürger „wahrscheinlich“ oder „sicher“ am kommenden Sonntag wählen gehen. 48 Prozent gehen „wahrscheinlich“ oder „sicher“ nicht hin.

Spitzenkandidat der aussichtsreichsten Liste der Sozialdemokraten ist der erfahrene, aber unbekannte Ex-Außenminister Tonino Picula. Die SDP könnte mit ihren Koalitionspartnern sechs Mandate gewinnen. Die rechtskonservative HDZ (Kroatische Demokratische Union) würde laut des Meinungsforschungsinstituts „Promocija Plus“ Platz zwei und fünf Mandate erreichen. Der eine verbleibende Sitz könnte an die Laburisten (Arbeiterpartei) und den ersten bekennenden Schwulen in der kroatischen Politik, Damir Hrsak, gehen. Die restlichen Listen und Kuriositäten – Unabhängige, Grüne, Piraten, Abeceda (Alphabet), „Stimme der Vernunft“, und viele andere – werden leer ausgehen.


EU-Kommission fordert Kampf gegen Korruption

„Die Parteien haben kein Interesse an diesen Wahlen. Sie führen keine Kampagnen und bringen keine Debatte über die Themen in Gang, über welche Themen unsere Vertreter im EU-Parlament entscheiden werden,“ sagt der Beobachter Zelic. Die Kroaten interessierten sich ohnehin mehr für die Ende Mai und Anfang Juni stattfindenden Kommunalwahlen. Es wäre besser gewesen, die EU-Wahlen in den Juni zu verlegen, unmittelbar vor den Beitritt am 1. Juli, so Zelic.

Bei der letzten großen EU-Erweiterungsrunde im Jahr 2004 fieberten die osteuropäischen Kandidaten ihrem Beitritt entgehen. In Kroatien und der EU dagegen herrsche knapp drei Monate vor dem Beitritt eine gewisse Gleichgültigkeit, beobachtet der Philosoph Horvat. Er selbst spüre auch noch kein Europa-Wahlfieber und werde wahrscheinlich ebenfalls nicht zur Wahl gehen.
Immerhin hat Kroatien zu den Wahlen nun sein Wählerregister bereinigt und etliche Karteileichen gelöscht. 4,5 Millionen Wahlberechtigte hatte Kroatien mit Diaspora-Wählern vorher, bei 4,2 Millionen Einwohnern. Nun weist die Liste 3,7 Millionen Wähler auf, nur etwa 2.200 Auslandskroaten sind registriert.

Derartigen Tatendrang fordert die EU-Kommission von Kroatien auch weiterhin – vor allem, was den Kampf gegen die Korruption betrifft. Insbesondere in Deutschland wurde der EU-Monitoring-Bericht, der Ende März präsentiert wurde und dem Kandidaten ein gutes Zeugnis ausstellte, in der Luft zerrissen. Die EU-Staaten wollen kein neues Mitglied, das sie erst aufpäppeln oder gar retten müssen. Zur wirtschaftlichen Lage schwieg sich die Kommission in dem Bericht aus.


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