Ungarn

Transaktionssteuer als Mogelpackung

Sie gilt als Wunderwaffe gegen Börsenspekulationen und hat auch in Deutschland viele Anhänger: die Finanztransaktionssteuer. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise vor vier Jahren wird ihre Einführung diskutiert. Doch auf europäischer Ebene sind die Verhandlungen ins Stocken geraten; besonders Großbritannien fürchtet um die Attraktivität des Finanzplatzes London.

Jetzt prescht allerdings Ungarn vor: Das mitteleuropäische Land plant die Einführung einer Abgabe auf Finanztransaktionen. Schon morgen will der nationalkonservative Ministerpräsident Viktor Orban bei einem Besuch in Brüssel dem EU-Kommissionspräsidenten Jose Manuel Barroso entsprechende Pläne präsentieren. Orban hofft, mit der Abgabe Löcher im ungarischen Haushalt zu stopfen. Nach den Berechnungen der Regierung soll die Abgabe 130 bis 228 Milliarden Forint in die Kassen spülen, das entspricht etwa 450 bis 760 Millionen Euro. Anfang 2013 soll sie eingeführt werden.

Kritiker warnen vor „Mogelpackung“

„Die neue Steuer entspricht ihrem Charakter und ihrer Höhe nach der Finanztransaktionssteuer, wie sie von der EU-Kommission empfohlen wird“, heißt es in einem gestern veröffentlichten Dokument der ungarischen Regierung. Doch Kritiker widersprechen: Sie werfen Orban vor, eine Mogelpackung zu planen. Denn die ungarische Regierung will nicht nur den Handel mit Aktien und Anleihen besteuern, wie es die EU-Kommission vorschlägt. Stattdessen würde die Abgabe von 0,1 Prozent auch fällig, wenn eine Firma ihren Angestellten das Gehalt überweist, wenn Bürger ihre Raten zahlen oder ihre Gasrechnung begleichen.

„Es ist absurd, die Besteuerung von realwirtschaftlichen Überweisungen als Finanztransaktionssteuer zu bezeichnen“, findet deshalb Stephan Schulmeister. Er ist Experte für Finanzmarktsteuern am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung in Wien. In ihrer geplanten Form sei die geplante Abgabe das Gegenteil dessen, was Ökonomen wie der Amerikaner James Tobin seit den 1970er Jahren propagiert hätten. „An eine Steuer auf die Bezahlung von Rechnungen hat dabei keiner gedacht“, kritisiert Schulmeister. Vielmehr sollte die Steuer kurzfristige Spekulationen auf Anleihen oder Devisen bremsen.

Internetabgabe bereits ad acta gelegt

Bislang fehlen belastbare Berechnungen, wie viel die neue Angabe eine ungarische Durchschnittsfamilie kosten wird. „Kein Bürger oder Unternehmen muss sich darüber den Kopf zerbrechen“, beschwichtigte Ministerpräsident Viktor Orban die Hörer in einer Radiosendung. Doch bei den Bürgern stößt die geplante Steuer auf Widerstand. „Alles wird doch heutzutage überwiesen, die Gehälter, die Renten“, schimpft ein User auf der Homepage der Wochenzeitung „186 ora“ (168 Stunden). „Man kann das doch nicht alles besteuern.” Und ein anderer schreibt: „Ich hoffe, dass meine Firma wieder dazu übergeht, mir mein Gehalt bar in einem Umschlag auszuzahlen.“ Auch Experten befürchten, dass durch die Maßnahme die Schattenwirtschaft gestärkt wird.

Die neue Steuer ist Teil eines Maßnahmenpaketes, mit dem Ungarn das Staatsdefizit senken und für 2013 einen EU-konformen Haushalt vorlegen will. Sonst verliert das Land 500 Millionen Euro an EU-Fördergeldern. Neben den Bankkunden werden auch die Telefonbenutzer zur Kasse gebeten: Für Gespräche über Festnetz und Handy werden bald 2 Forint (0,7 Cent) je Minute an den Fiskus fließen. Nur die Pläne für eine Internetabgabe hat die Regierung nach einem Aufschrei in der Öffentlichkeit beerdigt.


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