Ungarn

Ein Jahr rechtsextreme Ungarische Garde

(n-ost) - István Demeter ist der Kapitän. Der schnauzbärtige Mann mit Kapitänsmütze startet die Fahrt mit der "Katalin II." über einen Seitenarm der Körös in Ungarn. Es ist heiß, fast 40 Grad. Das Ausflugsschiff ist voll: ungarische Familien, die den Ausflug in das Arboretum des südostungarischen Szarvas mit einer kleinen Schiffsfahrt verbinden. Gleich nach dem Start beginnt István Demeters ganz persönliche Show."Hier ist die Mitte Ungarns", verkündet der Mann übers Mikrofon, obwohl das 16.000-Einwohner-Städtchen Szarvas nur 70 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt liegt. István Demeter bezieht sich auf eine andere Zeit: Die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, als Siebenbürgen, die Vojvodina, Teile der Slowakei und der Ukraine noch zu Ungarn gehörten. "Wenn der liebe Gott will", predigt Demeter, "werden wir Ungarn einst wieder vereint sein." Da wird klar: Die Schiffs-Tour wird zur Propaganda-Veranstaltung eines Rechtsextremen.Warum Flugzeuge im Bermuda-Dreieck verschwunden sind, will István Demeter wissen. Und ob die Mitfahrenden wüssten, dass wir 90 Prozent unseres Geistes ungenutzt ließen. Die Atmosphäre an Bord wird immer munterer. Nur wenige murren. Alle schwitzen. Dann holt Demeter seine Schlüsselanhänger hervor. Sie zeigen Groß-Ungarn in den Grenzen vor 1920. "Nur 450 Forint, in Budapest bezahlen Sie deutlich mehr", preist Demeter seine Ware an. Er muss nicht lange werben. Die patriotischen Anhänger finden reißenden Absatz. Die ungarische Gesellschaft ist auf Kurs strammrechts.Das ist eines der Folgen der Gründung der "Ungarischen Garde" vor einem Jahr, eines Ablegers der rechtsextrem Splitterpartei Jobbik (Die Besseren/Rechteren). Auf dem Burgberg von Budapest wehten damals die rot-weiß-gestreiften Àrpád-Fahnen. Unter ihr schickten die Pfeilkreuzler 1944/45 die ungarischen Juden in den Tod. Mehrere hundert Menschen waren 2007 an diesen Ort gekommen: Die rechtsextremen "Goj-Motorradfahrer" genauso wie Glatzköpfe, die ihre Nazi-Gesinnung mit "White-Power-T-Shirts" zur Schau trugen.Das Logo der rechtsextremen Partei Jobbik. Foto: Stephan OzsvathAber auch Menschen aus der Mittelschicht und sogar der politischen Elite waren dabei. Vor dem Präsidentenpalast erhielten die ersten 56 Mitglieder der "Ungarischen Garde" ihre Mitgliedsausweise - von Lajos Für, dem Verteidigungsminister der ersten Nachwende-Regierung. Ein bekannter Schauspieler sprach den Fahneneid vor. Geistliche verschiedener Konfessionen segneten die Fahne mit dem Löwen. Mária Wittner, Parlamentsabgeordnete des rechtskonservativen Bürgerbundes Fidesz, sprach über "Heimatliebe" und "wahres Ungartum". Wittner ist eine Ikone des 1956er-Aufstandes. Die Näherin war als aktiv Beteiligte zum Tode verurteilt und später begnadigt worden.Seit dem rechtsextremen Hochamt auf dem Burgberg von Budapest marschiert die "Ungarische Garde" durch Dörfer und Stadtviertel mit hohem Roma-Anteil, wettert gegen "Zigeunerkriminalität" und setzt sich dafür ein, dass Roma-Kinder und die der anderen Ungarn in der Schule voneinander getrennt werden. Anführer der "Ungarischen Garde" ist der 30-jährige Gábor Vona. Er ist auch Parteichef der rechtsextremen Splitterpartei Jobbik. Sie ist vor allem im studentischen Milieu verankert. An der Wahlurne erreicht sie nie mehr als zwei Prozent der Stimmen. Aber in einigen Stadtparlamenten, etwa in der zweitgrößten Stadt Debrecen, mischen die Rechtsextremen in der Kommunalpolitik mit.Die Ressentiments, die die Rechtsextremen verbreiten, treffen in der Mitte der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden. Ihre Thesen werden zum Mainstream. Nach einer Umfrage der "International School Psychology Association" würde sich jeder zweite ungarische Pennäler nicht neben einen Roma-Mitschüler setzen. Klischees wie "Roma sind faul und wollen nicht arbeiten" werden nicht nur hinter vorgehaltener Hand geäußert."Ich verdiene die Stütze, von der ihr lebt", heißt es in einem Nazi-Rock-Song, veröffentlicht im Online-Portal "You Tube". Die bekannteste ungarische Rechtsrock-Band "Kárpátia" füllt Stadien. Überall im Land hängen Tournee-Plakate: die Trikolore, darauf der Name der Band.Auf 12 Prozent beziffert der Soziologe Pál Tamás das rechtsextreme Wählerpotential. "Das sind Männer um die 30, die vor der Wende große Träume hatten, die sich nicht erfüllt haben", sagt er.Inzwischen marschieren die Rechtsextremen nicht nur. Mittlerweile fliegen auch Molotow-Cocktails, werden Juden und Andersdenkende zusammen geschlagen. Anlässlich der "Gay Pride Parade" in Budapest im Juni griffen die Rechtsextremen Demonstrationsteilnehmer mit Eiern und Säure an, homosexuelle Politiker wurden durch die Straßen der ungarischen Hauptstadt gehetzt.Der für den Schutz der Minderheiten zuständige Ombudsmann Ernö Kállai vergleicht die Kampagnen gegen Roma und Juden, "das Suchen nach Sündenböcken und die breite gesellschaftliche Unterstützung dafür" mit der Situation in Deutschland in den 30er Jahren, als die Braunhemden der SA durch deutsche Städte marschierten. Er wirft den ungarischen Politikern vor, "die Gefahr dieser Entwicklung und die Notwendigkeit, diese aufzuhalten", nicht erkannt zu haben.Die sozialistische Minderheitsregierung hat zwar ein Verbotsverfahren gegen die "Ungarische Garde" auf den Weg gebracht. Eine Entscheidung steht aber noch aus. Der rechtskonservative Bürgerbund Fidesz und ihr populistischer Parteichef Viktor Orbán distanzieren sich -- wenn überhaupt -- nur halbherzig von den rechtsextremen Umtrieben. Das Wählerpotential ist verlockend groß. Fidesz-Abgeordnete wie Mária Wittner lassen kaum eine Veranstaltung der Rechtsextremen aus. Sie eint der Hass auf die Sozialisten, allen voran den Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány.Die Gründung der "Ungarischen Garde" vor einem Jahr hat auch die Debatte um einen Volksverhetzungsparagrafen nach deutschem Muster befördert. Das Parlament hat ihn bereits gebilligt. Aber Staatspräsident László Sólyom hielt den Gesetzesentwurf für verfassungswidrig. Das ungarische Verfassungsgericht kippte ihn. Das Gesetz gegen "Hassreden" greife in nicht akzeptablem Maße in das Recht auf Meinungsfreiheit ein, so die Richter.Ihrer Meinung nach dürfen nur natürliche Personen das Recht haben, ihre Würde durch das Gesetz schützen zu lassen, nicht aber größere Gemeinschaften oder Gruppen, wie es der Gesetzentwurf vorsah. Ohnehin sei die Demokratie in Ungarn stark genug, extremistische Äußerungen abzufangen, verteidigte das Gericht seine Entscheidung. Der "Verkünder solcher Botschaften stellt sich mit seiner Meinung selbst an den Rand der Gesellschaft", heißt es in der Urteilsbegründung.Das sehen Vertreter der Minderheiten ganz anders. "Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird hier mit dem Recht auf Würde auf eine Stufe gestellt", kritisierte Péter Feldmájer, Vorsitzender der Ungarischen Jüdischen Gemeinden (MAZSIHISZ). Immer wieder hatte der jüdische Verbandsfunktionär in der Vergangenheit beklagt, dass den Rechtsextremen der Splitterpartei Jobbik und ihrer "Ungarischen Garde" nicht mit gesetzlichen Mitteln das Handwerk gelegt werde.Einer der Initiatoren des Volksverhetzungsparagrafen, der sozialistische Abgeordnete Tamás Suchmann beklagte: Rechtsextreme bekämen nun Oberwasser und könnten "extreme rechte Meinungen vertreten, gegen die sich das gesamte zivilisierte Europa auflehnt." Das Nein der Verfassungsrichter zum Volksverhetzungsparagraphen sei ein Freibrief für Antisemiten und Roma-Hasser, sagt Suchmanns Parteifreund Gergely Bárándy, auch er ist ein Befürworter des Gesetzes gegen "Hassreden".Ohne das Gesetz sei es möglich, "Juden und Roma öffentlich und ungestraft zu beleidigen", so Bárándy. Das aber schade dem EU-Mitglied Ungarn auf internationalem Parkett, meint Ernö Lazarovics. Der Holocaust-Überlebende vertritt die Ungarischen Jüdischen Gemeinden im Ausland. Er sagt: "Antisemitismus ist nicht gut für das Renommée."
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