Slowakei

Mord aus Laune und Gesinnung

Bratislava (n-ost) - Daniel Tupy musste einen hohen Preis dafür bezahlen, dass er lange Haare trug. Am Abend des 4. Novembers wurde der einundzwanzigjährige Student in Bratislava, der Hauptstadt des EU-Neumitgliedes Slowakei, von Neonazis erstochen, weil er mit seinen langen Haaren ihr Missfallen erregt hatte. Seine Begleiter kamen mit teils schweren Verletzungen ins Krankenhaus. Die etwa fünfzehn Täter konnten trotz Großeinsatz der Polizei entkommen.

Seit die slowakische Naziszene das Messer entdeckt hat, gehören nicht nur gebrochene Knochen zum Standardrepertoir. Und was auch neu ist: Es trifft nicht mehr nur Menschen mit anderer Hautfarbe, wie Roma, japanische Touristen oder chinesische Botschaftsangehörige. Jeder, der das Interesse der Skinheads auf sich zieht, kann zu deren Opfer werden. Jeder, der nicht aussieht wie sie. Dies ist seit dem Mord an dem Studenten offensichtlich.

Langsam begreift auch die slowakische Bevölkerung das Ausmaß der Bedrohung. Anlässlich einer Trauerkundgebung am vergangenen Donnerstag ist der Platz vor dem Präsidentenpalast im Zentrum Bratislavas dicht gedrängt. Doch Trauer ist ein schwaches Wort für die Emotionen, die Empörung. Angst macht sich breit. Die Polizei tappt noch immer im Dunkeln, hat das Problem nicht im Griff. Waffen wurden sichergestellt, Schlagringe, Messer. Über 10.000 Euro haben die Eltern des Opfers und drei Fernsehsender für die Ergreifung des Täters ausgeschrieben - bislang ohne Erfolg. Da hilft es auch nicht, dass die Polizei meldet, die slowakische rechte Szene sei in den vergangenen Jahren eher kleiner geworden. Aktuell ist von rund 4500 Rechtsextremen im Lande die Rede, davon werden 200 als radikal eingestuft, mit steigender Gewaltbereitschaft.

Mit dem Tode Daniel Tupys begann eine hektische Ursachenforschung. „Mit Entsetzen habe ich die Nachricht vom Tod des Studenten aufgenommen”, kommentiert der Rektor der Komenius-Universität Frantisek Gaher. An seiner Philosophischen Fakulät hatte Tupy noch vor einer Woche studiert. Der Vorsitzende des Nationalrats Pavol Hrusovsky ist ebenso bei der Trauerkundgebung dabei, wie der Regierungsvizevorsitzende und zugleich Beauftragte für Menschenrechte Pal Csaky. Er fordert das „Null-Toleranz-Prinzip” gegen extremistische Gewalt.

Daniel Milo von der Organisation „Menschen gegen Rassismus” richtet harte Worte an Polizei und Richter: „Hören Sie auf, die Neonazis zu schützen!” Zu lange habe man die rechte Szene sich selbst überlassen, zu lange sei der Faschismus alten ideologischen Erklärungsmustern gemäß allein in Deutschland verortet worden. Auch die Schulen, wo Milo zufolge nicht erst seit gestern rechte CDs und Zeitschriften kursieren, werden an ihre Verantwortung erinnert.

Das Innenministerium hat nach eigenen Angaben den Druck auf die rechte Szene verstärkt und überwacht ihre Aktivitäten. Eine der polizeilichen Maßnahmen sei auch der Kampf gegen Alkohol. Die bloße Einwirkung von Alkohol jedoch erklärt noch nicht die Aufmärsche rechtsnationaler Fanatiker in Uniform. Ungute Erinnerungen an die Hlinka Garde, die in der Ersten Slowakischen Republik mit der deutschen SS zusammengearbeitet hat, werden wach. Immer noch fehlt die sorgfältige Aufarbeitung der engen Verstrickungen der Slowakei mit dem Hitler-Regime.

Auch die jüdische Gemeinde in Bratislava registriert den wachsenden Rechtsextremismus mit Besorgnis. Vor einiger Zeit wurde Schmutz in die Gedenkstätte des berühmten Pressburger Rabbis Chatam Sofer geworfen, die auch ein Gebetsraum für Juden ist. Am Jahrestag Sofers bleiben einige Mitglieder lieber zu Hause. „Ich lass mich doch nicht erschlagen!” sagt ein Holocaustüberlebender seine Teilnahme an der abendlichen Feierstunde ab.

In den Diskussionsforen der Medien wird gestritten, ob Bratislava nun gefährlicher sei als andere große Städte oder nicht. Noch fühlen sich viele nicht betroffen, lassen Minderheiten wie die Roma oder Vietnamesen mit dem Problem allein. Die Opfer werden zum „Provokateur“ umgedeutet, Verständnis für die Täter vorgeschoben.

Die Slowakei, dieses oft übersehene und viel unterschätzte Land, dessen größter Trumpf jedoch stets die Herzlichkeit ihrer Bewohner war, hat mehr als nur ihren guten Ruf zu verlieren. Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass eine Demokratie, die ihre Minderheiten alleine lässt, früher oder später selbst angegriffen wird.

*** Ende ***


Foto: Trauerkundgebung vor dem Präsidentenpalast in Bratislava, 9.11.2005, Autor: Christoph Amthor
sonstiger Bebilderungsvorschlag: Auftritte der “Slovenska Pospolitost”, Quellen evt. slowakische Agenturen SITA oder TASR oder tschechische Agentur CTK.

Christoph Amthor


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