Polnische Medien werfen Plastinator Nazi-Methoden vor
Sieniawa (n-ost) Seit „Körperwelten“-Macher Gunther von Hagens im polnischen Dorf Sieniawa, etwa 60 Kilometer entfernt von Cottbus, Teile seiner Leichenpräparation ansiedeln will, schlagen im katholischen Polen die Emotionen hoch. Die größte Tageszeitung des Landes, die „Gazeta Wyborcza“, nannte die Arbeit des selbst ernannten „Plastinators“ einen „Horror“ und eine verschärfte Form des „Big Brother“. Der als eher liberal bekannte Bischof Tadeusz Pieronek erklärte im gleichen Medium, die Ausstellung von Leichen als Kunstgegenstand sei schlicht „unmenschlich“.
Unter dem Druck der Medien ging von Hagens mittlerweile in die Offensive. Dem örtlichen Gemeinderat gegenüber präzisierte er in einer schriftlichen Erklärung seine Pläne. Demnach will er entgegen ersten Meldungen keine komplette Verlegung seiner Leichenpräparation nach Polen vornehmen. Die „Hauptproduktion“ ist derzeit im chinesischen Dalian, ein Teil auch in Bischkek/Kirgisien angesiedelt. In Polen will von Hagens nach eigenen Angaben aber künftig die Schlussbearbeitung plastinierter Tier- und Menschenpräparate vornehmen lassen. Diese sollen zur Weiterverarbeitung von Heidelberg aus nach Polen geliefert werden. Von Hagens plant, die Präparate in Sieniawa nach einem neuen Verfahren mit Kunststoff überstreichen und imprägnieren zu lassen. Von Hagens, der sich selbst nach der von ihm erfundenen Technik „Plastinator“ nennt, besitzt das Weltpatent für diese Art der Konservierung. Die Gewebepräparate sollen an Universitäten und Kliniken verkauft werden, wo von Hagens einen „unbegrenzter Bedarf“ sieht.
In der Erklärung wird die Einrichtung von etwa 300 Arbeitsplätzen im Dorf Sieniawa angekündigt. Derzeit ist in der Umgebung jeder Dritte arbeitslos. Die Investition sei aber von der Akzeptanz durch die polnischen Behörden abhängig. Auch Heidelberg, Dalian (China) und Biszkek (Kirgisien) seien mögliche Standorte.
Um den polnischen Politikern die Beurteilung der Pläne zu erleichtern, lädt von Hagens auf seine Kosten drei Mitglieder des Gemeinderats aus dem nahegelegenen Żary zu einer Reise in die USA und nach Deutschland ein. Besucht werden sollen die „Körperwelten“-Ausstellung, die derzeit in Los Angeles und Chikago gastiert, sowie das Heidelberger „Institut für Plastination“. In Heidelberg soll es auch eine Begegnung mit 800 potenziellen Leichenspendern geben, die sich bereits bei von Hagens für eine Plastination nach ihrem Tod angemeldet haben.
Ob von Hagens die polnische Öffentlichkeit für das Vorhaben gewinnen kann, ist höchst fraglich. Mittlerweile wird in Internet-Foren seine Arbeit sogar mit dem Wirken der Nazis verglichen. Seine Präparate würden an Seifen und andere Produkte erinnern, die die Nazis in Konzentrationslagern aus menschlichen Leichen herstellten.
In seiner Erklärung beruft sich der Anatom darauf, dass alle seine Präparate von Freiwilligen stammten. Zudem hätten mittlerweile 16 Millionen Besucher weltweit die „Körperwelten“-Ausstellung gesehen. „Als gebürtiger Deutsche schäme ich mich für das unmenschliche Regime, in dessen Name Millionen Menschen ermordet wurden. Ich verbeuge mich vor den Opfern und versuche den zunehmenden neonazistischen Tendenzen entgegenzuwirken“, erklärte von Hagens.
Im Dorf Sieniawa demonstriert man Gelassenheit. Für Aufsehen sorgte am Wochenende allerdings der Auftritt des Bischofs Paweł Socha, der Firmungen vornahm und am Ende seiner Predigt unter Anspielung auf die aktuellen Vorgänge an die „moralische Haltung der Christen“ und an den „Respekt vor den Toten“ erinnerte.
Das etwa ein Hektar große Gelände mit Lagerhallen im Dorf hat von Hagens offiziell gekauft, um „Räumlichkeiten für das vorläufige Lagern und die Reparatur von Ausstellungsgegenständen“ sowie „zur Einrichtung technischer Anlagen wie Vakuumräumen“ zu erhalten. Die Hallen, die zu einer alten Maschinenfabrik gehören, werden derzeit von etwa zehn Leuten hergerichtet. Diese werden nach eigenen Aussagen, sehr gut bezahlt.
Vor Ort leitet Gerhard Liebchen, der Vater und Bevollmächtigte von von Hagens, die Arbeiten. Büsche und Blumen pflanzt er eigenhändig an. Gunther von Hagens wurde als Gunther Gerhard Liebchen am 10. Januar 1945 in der Nähe von Posen auf dem Gebiet des heutigen Polen geboren. Sein 89-jähriger Vater legte vor dem Krieg im polnischen Ostrów Wielkopolski das Abitur ab und spricht fließend polnisch. Er war es auch, der die Erklärung seines Sohnes auf der Versammlung des Dorfamtes vorlegte. Liebchen Senior hat sich bereits im Ort Sieniawa eine Villa gekauft, wohnt aber derzeit im letzten Geschoss eines alten Bürohauses, bis die aus deutscher Zeit stammende Villa von den vorherigen Besitzern geräumt ist.
Ob von Hagens seine polnischen Pläne tatsächlich umsetzen kann, hängt nun erst einmal von der Reaktion des Gemeinderats ab. „Wir werden in ein Paar Tagen über den Reisevorschlag von Herrn von Hagens diskutieren“, sagt die Dorfälteste Krystyna Korzeniowska. Man habe es nicht eilig. Von Hagens hat bereits angekündigt, während einer Versammlung im Mai oder Juni den Einwohnern über seine geplanten Investitionen Rede und Antwort stehen zu wollen.
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