Erfolge im Ausland, Geldnot in der Heimat
ostpol: Calin Peter Netzer hat 2013 mit seinem Sozialdrama „Mutter und Sohn“ den ersten Goldenen Bären nach Rumänien geholt. Können rumänische Filmemacher von diesem Erfolg profitieren?
Tudor Giurgiu: Das ist ein Paradox. Rumänien hätte die Filmindustrie nach diesem wichtigen Filmpreis noch kräftiger fördern müssen, aber das ist nicht der Fall. Schon nachdem der rumänische Regisseur Cristian Mungliu in Cannes mit dem Drama „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ die Goldene Palme geholt hatte, beschloss die Regierung 2009, dass die rumänische Klassenlotterie, die mit vier Prozent ihres Gewinns den Filmfonds unterstützt hatte, von diesen Beiträgen befreit wurde. Das hat uns hart getroffen, denn wir mussten auf knapp drei Millionen Euro jährlich verzichten. Als zweites „Geschenk“ änderte die Regierung zwei Monate nach dem rumänischen Goldenen Bären das Audiovisuell-Gesetz. Die Folge: Der Filmfonds erhält kein Geld mehr von den Medienagenturen, die zwischen Werbekunden und den Fernsehsendern vermitteln. Die Filmindustrie verliert dadurch weitere zwei bis drei Millionen Euro. Darüber hinaus schuldet das öffentlich-rechtliche Fernsehen dem Filmfonds knapp sieben Millionen Euro und möchte von diesen Beiträgen ganz befreit werden.
Tudor Giurgiu ist einer der besten Kenner der rumänischen Filmindustrie. Der 41-Jährige ist nicht nur ein erfolgreicher Filmregisseur - seine Komödie „Über Menschen und Schnecken“ war 2009 der beliebteste Film in Rumänien. Giurgiu war bereits Chef des staatlichen Fernsehens und ist auch Filmproduzent. 2002 gründete er in der Stadt Cluj (Klausenburg) das Transylvanien International Film Festival (TIFF), das inzwischen wichtigste rumänische Filmfestival.
Welche Folgen hatten diese Entscheidungen für den Filmfonds?
Giurgiu: Im Jahr 2007 hatte der Fonds noch rund 17 Millionen Euro, jetzt sind es nur noch acht Millionen. Damit werden Filme vertrieben und Festivals gefördert. Wir blicken mit Neid ins benachbarte Ungarn, wo der Filmfonds nach einem totalen Zusammenbruch der Filmförderung über einen stabilen Etat von 20 Millionen verfügt, überwiegend durch die staatliche Lotterie. Wir hingegen liegen wegen der schlechten Leitung des Fonds am Boden.
Konnten Sie und die anderen Filmemacher bei den Politikern etwas bewegen?
Giurgiu: Einen einzigen Erfolg haben die Cineasten nach dem Goldenen Bären bei einem Treffen mit Ministerpräsident Victor Ponta erzielt. Wir forderten ihn dazu auf, den Chef des Filmfonds CNC, Eugen Serbanescu, zu entlassen. Unsere Forderung wurde erfüllt. Wir baten den Premier, die ganze frühere CNC-Führung zu entfernen, weil sie sehr korrupt war. Jahrelang finanzierte sie unsinnige Filme und Filmfestivals und sogar solche, die nicht einmal stattfanden. Seit drei Jahren förderte sie zum Beispiel mit jährlich 20.000 Euro das „Goldfisch-Festival“. Beim Googlen findet man aber weder, wo es stattfindet, noch in welchem Zeitraum.
Der rumänische Film ist sehr erfolgreich auf Festivals, aber wie sieht die rumänische Filmlandschaft aus?
Giurgiu: Rumänien ist Schlusslicht in Europa, was die Zahl der Kinosäle pro Kopf angeht. Die Digitalisierung der 30 früheren staatlichen Kinosäle geht nur schleppend voran. Beim Zusammenbruch des Kommunismus 1990 waren es noch 350 Kinosäle! Daher muss man sich an erster Stelle dafür einsetzen, dass Kleinstädte mit mindestens 25.000 Einwohnern einen Kinosaal bekommen. Dank des Erfolgs des TIFF überließ uns die Stadt ein altes Kino zur Selbstverwaltung. Mithilfe der Förderung durch die EU und der Stadt Cluj konnten wir dieses Kino digitalisieren. Das soll ein Beispiel für andere Städte sein, denn 20.000 Euro könnte sich jede Stadtverwaltung leisten. Denn sogar eine Stadt wie Galati mit 200.000 Einwohnern hat keinen Kinosaal mehr. Mit der „Operation Kino“ zieht unser Festival jeden Sommer durch die Region mit Projektor und aufblasbarer Leinwand und zeigt in Kleinstädten, die längst keine Kinos mehr haben, rumänische und europäische Filme - auf öffentlichen Plätzen und manchmal in verlassenen Kulturstätten. Unterwegs begegnen wir dankbaren Zuschauern, die seit 40,50 Jahren keinen Film mehr gesehen haben.