Polen

Schwulenparade in Warschau

Ballons in Regenbogenfarben schweben in der Sonne über der Nowy-Swiat-Straße in Warschau. Kinder versuchen sie zu fangen, Passanten schauen neugierig. Ob die Atmosphäre am Samstag auch so gelöst und freundlich sein wird? Am 17. Juni findet in Warschau die Europride 2010 statt, eine europäische Schwulen- und Lesbenparade mit Konzerten, Diskussionen und Filmvorführungen.

Polen ist das erste Land Osteuropas, das Gastgeber der Europride wird. Bisher fand die Parade stets in westlichen Ländern statt. „Wir freuen uns sehr, dass Polen diese Ehre zuteil wurde“, sagt Tomasz Baczkowski, einer der Organisatoren der Europride 2010. Sein Land, so Baczkowski, habe sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt, die Atmosphäre sexuellen Minderheiten gegenüber sei freundlicher geworden.

Ein Zeichen dafür sind nationale Schwulen- und Lesbenparaden. „2004 und 2005 wurden sie von Lech Kaczynski, der damals noch Warschauer Bürgermeister war, verboten“, erzählt Baczkowski. „Mittlerweile steht überhaupt nicht mehr zur Debatte, ob sie stattfinden oder nicht, sie sind fest im Terminkalender verankert.“ Zudem kämen immer mehr Teilnehmer, darunter auch Heterosexuelle. Sie unterstützen das Anliegen oder wollen einfach eine interessante Veranstaltung besuchen. „Zu tätlichen Angriffen wie in anderen Hauptstädten Osteuropas kommt es bei Paraden in Warschau nicht“, sagt Baczkowski.
 
Das heißt allerdings nicht, dass die Situation in Polen perfekt ist. „Wir stehen dort, wo  Deutschland oder die Schweiz vor zehn bis 15 Jahren standen“, sagt Baczkowski. Am schlimmsten sei es in der Provinz, wo sich die Mentalität der Menschen seit Jahrzehnten kaum verändert habe. Adam Kieloch, ein bekennender Schwuler, berichtet vom Pfarrer in seinem Heimatdorf bei Graudenz, der ihm „Sodomit“ und „Sünder“ hinterherruft, wenn er zu Besuch kommt. „Homosexuelle werden auf eine Stufe mit Verbrechern wie Pädophilen gestellt“, sagt Kieloch. Er wagte erst, als er nach Warschau zog, offen zu seiner sexuellen Orientierung zu stehen. In seinem Dorf habe er sich nicht einmal getraut jene Männer anzusprechen, über die die gleichen Gerüchte im Umlauf waren wie über ihn.
Die Atmosphäre in den Großstädten sei anders als in der Provinz, gibt auch Baczkowski zu. Sie ist geprägt von einer liberalen Jugend und von Prominenten wie Künstlern, für die Homosexualität selten ein Tabu ist. Coming Outs von Schauspielern trugen dazu bei, dass Schwule und Lesben zunehmend akzeptiert werden.

Bunte Demo für mehr Toleranz: die Warschauer Gleichheitsparade im vergangenen Jahr; Foto: Agnieszka Hreczuk
Dennoch bleibe viel zu tun, findet Baczkowski. Er sieht in der Europride und der mit ihr verbundenen internationalen Resonanz eine große Chance. „Es ist zwar wichtig, die Bevölkerung aufzuklären und zum Umdenken zu bewegen“, sagt er, „aber genauso wichtig sind politische Fortschritte“. Zu den Forderungen der Homosexuellen gehören ein Gesetz über Partnerschaften, Erbschaftsrecht in gleichgeschlechtlichen Beziehungen und Auskunftsrechte im Krankheitsfall. Unterstützt werden sie dabei lediglich von den Sozialdemokraten.

Auch an der Europride-Parade will neben einigen Sozialdemokraten kein polnischer Politiker teilnehmen. Dafür marschieren ausländische Gäste mit: die schwedische Ombudsfrau Katrin Linna, die österreichische Europa-Abgeordnete Ulrike Lunacek oder Nick Herbert, Staatssekretär aus Großbritannien. Der Brite, schwul und politisch konservativ, versucht seinen Koalitionspartner im Europaparlament, die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski, davon zu überzeugen, dass eine christliche Konservative nicht schwulenfeindlich sein müsse. Die PiS hat bisher nicht reagiert. Und auch die liberale Bürgerplattform (PO) von Premierminister Donald Tusk hält sich zurück. Die Veranstalter der Europride 2010 werfen der von der Bürgerplattform dominierten Warschauer Verwaltung  vor, ihre Parade finanziell nicht unterstützt zu haben.

Die Warschauer Europride wird von fünf Gegendemonstrationen begleitet. Sie wurden von Privatpersonen als Märsche „zur Verteidigung religiöser Gefühle“ oder „gegen Abweichungen“ registriert. Zahlenmäßig aber sind die Schwulengegner schwach: Während zu den Protestkundgebungen rund 1.000 Menschen erwartet werden, rechnen die Veranstalter der Europride mit bis zu 50.000 Besuchern aus Polen und dem Ausland.


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