Polen

Stimmen um jeden Preis

Die Busse sehen fast gleich aus. Groß, komfortabel, blau, und fast vollständig mit Wahlslogans bedeckt. „Jarkobus“ für Jaroslaw Kaczynski und „Bronkobus“ für Bronislaw Komorowski heißen die Reisebusse im Volksmund. Sie sind zum Symbol der letzten Wahlkampfphase geworden: Mehrere tausend Kilometer, durch 500 Ortschaften, fuhren die beiden Kandidaten fürs Präsidentenamt in den vergangenen zwei Wochen durchs Land. Manchmal kreuzten sich ihre Wege, immer mit dem Ziel, möglichst viele Wähler für sich zu gewinnen.

Es wird knapp für die beiden Präsidentschaftskandidaten. Die Stichwahl am 4. Juli muss zu einer Entscheidung führen. Doch welche es sein wird, ist kaum vorherzusehen. In den Umfragen gilt Bronislaw Komorowski von der liberalen Bürgerplattform nach wie vor als Favorit, doch sicher ist sein Sieg nicht. Nur 4,5 Prozent Vorsprung hatte er beim ersten Wahlgang am 20. Juni. Mittlerweile liegt Komorowski mit 54 Prozent in den Prognosen deutlich vor Kaczynski, auf den nur 41 Prozent der Stimmen fallen. Doch Beobachter erinnern an die Präsidentschaftswahlen vor fünf Jahren: Damals lag der damalige Kandidat Donald Tusk im ersten Wahlgang noch drei Prozentpunkte vor Lech Kaczynski. Bei der Stichwahl verlor er dann aber mit acht Prozent, Lech Kaczynski wurde Präsident. Und das, obwohl alle Umfragen Tusk einen Sieg prophezeit hatten. „Wir sind überzeugt, es wird dieses Mal genauso ausgehen“, versichert Jan Dziedziczak, ein Mitarbeiter aus Kaczynskis Wahlstab.

Über den Wahlausgang werden vor allem die über zwei Millionen Wähler entscheiden, die in der ersten Runde für den unterlegenen Sozialdemokraten Grzegorz Napieralski stimmten. Komorowski und Kaczynski zeigen bei ihren Auftritten deshalb nun, wer der größere Freund der Linken ist. Konzentrierte sich die Kampagne vor dem ersten Wahlgang vor allem auf den tragischen Flugzeugabsturz von Smolensk, bei dem der damalige Präsident Lech Kaczynski ums Leben kam, dreht sich jetzt alles um sozialpolitische Fragen, die für die linken Wähler von Bedeutung sind.

Komorowski, der beispielsweise über Frauenquoten schlicht nicht sprechen wollte, bezeichnet eine solche Quote von mindestens 35 Prozent plötzlich als unvermeidbar. Er verspricht auch, dass der Staat künftig Kosten für die künstliche Befruchtung übernehme – eine Methode, die er bis vor kurzem mit Rücksicht auf streng katholische Wähler und die Kirche noch rechtlich beschränken lassen wollte. Sein Gegner Kaczynski spricht sich plötzlich gegen eine Privatisierung der Krankenhäuser aus, eine Reform, die seine Regierung einst selbst beschlossen hatte.

Auch beim Afghanistan-Einsatz sind die Präsidentschaftskandidaten mit den Linken neuerdings auf einer Linie. Seit im Juni drei polnische Soldaten in Afghanistan ums Leben kamen, wächst die öffentliche Kritik an der Militäraktion. Und Komorowski, bislang sogar Verfechter einer Vergrößerung des polnischen Kontingents, erklärt, er wolle die Truppen 2012 aus Afghanistan abziehen. Auch Jaroslaw Kaczynski, der als Ministerpräsident vor drei Jahren eine Ausweitung des Einsatzes beschlossen hatte, kündigte an: Wenn er Präsident werde, kehrten alle Soldaten noch während seiner Amtszeit nach Hause zurück.

Eine offizielle Wahlempfehlung des Linken Grzegorz Napieralski bekam keiner der beiden Kandidaten. Der Chef der Sozialdemokraten überließ die Entscheidung seinen Anhängern. „Was das wirtschaftliche Programm betrifft, ist die Partei von Kaczynski tatsächlich den Linken sehr nahe, vielleicht sogar sozialistischer als die Linksallianz. Doch was Politik und Werte angeht, stimmen die Linken mehr mit der Bürgerplattform überein“, so Olgierd Annusewicz, Politologe aus Warschau.

Laut den Umfragen würden sich 80 Prozent der sozialdemokratischen Wähler am Sonntag für Komorowski entscheiden. Doch darauf kann sich der liberal-konservative Kandidat nicht allzu sehr verlassen. Denn gleichzeitig kündigten viele Wähler an, aus Protest eine ungültige Stimme abzugeben – oder gar nicht erst wählen zu gehen. Hier, meint der Politologe Annusewicz, liege wiederum Kaczynskis Vorteil. Seine Wähler seien gut zu mobilisieren und ließen sich vom Gang an die Wahlurne nicht abbringen.


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