Polen

Leben nach der Trauer

Noch herrscht in Polen Trauerzeit, noch wurden nicht alle Opfer identifiziert. Und trotzdem fragen sich die Menschen immer häufiger, wie es nun im Land weitergeht. Denn die Tragödie hat die ganze politische Szene erschüttert. 96 Menschen sind bei dem Unfall ums Leben gekommen. In wenigen Sekunden waren zahlreiche hochrangige Ämter verwaist.

In den meisten Fällen wurden die Posten der verstorbenen Beamten von deren Stellvertretenden übernommen. Dies ist jedoch nur eine Übergangslösung, denn alle Ämter müssen offiziell besetzt werden – entweder vom Parlament oder dem Präsidenten. Als Interims-Staatschef hat Bronislaw Komorowski, Präsident des Unterhauses (Sejm-Marschall), bereits erste Nominierungen vorgenommen. So wurde Jacek Michalowski aus einer nichtstaatlichen Stiftung Chef der Präsidentenkanzlei und Stanislaw Koziej, der ehemalige Vizeverteidigungsminister unter Jaroslaw Kaczynski, ist jetzt Chef des Nationalen Sicherheitsbüros.

Die Nominierungen sind für Komorowski jedoch eine heikle Angelegenheit. Denn er ist der Präsidentschaftskandidat der regierenden Bürgerplattform. Damit könnte ihm als geschäftsführendes Staatsoberhaupt vorgeworfen werden, seine vorläufigen Befugnisse zu Wahlkampfzwecken auszunutzen. Die meisten leeren Posten an der Staatsspitze dürften deshalb wohl erst nach den Präsidentschaftswahlen endgültig wiederbesetzt werden.

Die Wahlen, planmäßig für Herbst vorgesehen, werden nun vorgezogen. Laut Verfassung hat Komorowski 14 Tage Zeit, um die neuen Wahlen auszuschreiben. Das sollte schon am Mittwoch passieren, doch Komorowski verlegte die Bekanntgabe auf die nächste Woche. Das war im Grunde genommen keine Überraschung, denn je früher die Neuwahlen ausgeschrieben werden, desto weniger Zeit haben die Parteien, sich darauf vorzubereiten.

Spätestens 60 Tage nach der Ausschreibung müssen die Wahlen stattfinden. Für die Vorbereitung bleibt indes deutlich weniger Zeit. Spätestens 55 Tage vor den Wahlen müssen laut Verfassung die Kandidaten feststehen. 15 Tage später muss die Unterstützer-Liste mit 100.000 Unterschriften in der Wahlkommission eingereicht werden. Dann werden die Kandidaten endgültig zur Wahl zugelassen.

Hätte Bronislaw Komorowski am Mittwoch die Entscheidung getroffen, dann hätten die Parteien schon am kommenden Montag ihren Kandidaten benennen und in etwas mehr als zwei Wochen die Listen einreichen müssen. Hinter der Terminbekanntgabe steckt also auch politisches Kalkül, auch wenn offiziell immer wieder das Argument wiederholt wurde, man solle das Datum der Präsidentschaftswahl aus Respekt gegenüber dem verstorbenen Präsidenten erst nach der Beerdigung bekanntgeben. Wird das Datum am letzten möglichen Tag bekannt gegeben, finden die Wahlen am 20 Juni statt.


Eine Frau gedenkt der Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk. Foto: Agnieszka Hreczuk

Fraglich ist jedoch noch immer, was die Verzögerung den Parteien bringt. Momentan stehen zwei Kandidaten fest: Bronislaw Komorowski, mit großen Chancen, und Andrzej Olechowski, ein unabhängiger Kandidat, mit schwachen Ergebnissen in bisherigen Umfragen. Zwei weitere geplante Kandidaten waren Lech Kaczynski (Recht und Gerechtigkeit – PiS) und der Sozialdemokrat Jerzy Szmajdzinski, die beide bei dem Flugzeugabsturz umgekommen sind. In keiner der beiden Parteien gibt es vorerst alternative Kandidaten. Izabela Jaruga-Nowacka, die vor einem Jahr als eventuelle Kandidaten neben Szmajdzinski genannt wurde, starb ebenfalls am Samstag.

Für die PiS könnten nun entweder der Bruder des Präsidenten Jaroslaw Kaczynski oder Zbigniew Ziobro, der ehemalige Justizminister, antreten. Doch die Bereitschaft von Jaroslaw Kaczynski ist momentan fraglich, zu sehr hat ihn die Tragödie offenbar mitgenommen. In den bisherigen Umfragen wurden ihm geringe Chancen eingeräumt, viel weniger als seinem Bruder Lech. Es ist zwar anzunehmen, dass er auf der Welle der jetzigen Solidarität in Polen punkten kann, aber das muss nicht unbedingt ausreichen.

Mit mehr Unterstützung könnte Ziobro rechnen, doch seine Kanditatur würde in der Partei womöglich als Bedrohung für Jaroslaw betrachtet werden. Es ist unwahrscheinlich, dass sich Kaczynski, der seine Partei sehr autoritär führt, entscheidet, Ziobro zu unterstützen. Außerdem muss sich die Partei mit ernsthaften Verlusten in ihrer ersten Reihe auseinandersetzen. Keine andere Partei ist so stark durch den Flugzeugabsturz betroffen wie die PiS. Die ganze konservative Elite wurde buchstäblich dezimiert. Jetzt muss sich die Partei auf den Wiederaufbau der eigenen Stärke konzentrieren, ansonsten drohen ihr der Niedergang oder aber auch eine komplett neue Ausrichtung.

Gibt es keinen weiteren Kandidaten, ist der Sieg von Komorowski so gut wie sicher, er wäre  recht kampflos zu erreichen. Von echtem Wahlkampf kann ohnehin kaum die Rede sein. Dafür ist der Druck zu groß: Die polnische Bevölkerung würde jetzt keinen harten Auseinandersetzungen akzeptieren. Im Gegensatz zur letzten Wahl, als alle Kandidaten eher unfair um Stimmen buhlten, verspricht die bevorstehende wohl eher ruhig und sogar langweilig zu werden.
Agnieszka Hreczuk
ENDE

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