Polen

Silvesterparty im Kloster

In Polen wird Silvester gern auf großen Bällen und kleinen Partys gefeiert. Doch es gibt immer mehr Leute, die lieber nachdenken und Tee trinken, als zu tanzen und  Sekt zu trinken. Silvester im Kloster entwickelt sich zu einem populären touristischen Angebot in Polen.

Beten bis 22 Uhr, dann ein Gottesdienst und pünktlich um Mitternacht einen warmen Tee mit Himbeersaft und Brot mit Käse. Dazu selbstverständlich ein Neujahrgruß, aber weder Feuerwerk noch Sekt. Spätestens um zwei Uhr gehen die Silvestergäste ins Bett. „So einfach ist es bei uns“, sagt Pater Jan, ein Benediktiner aus Tyniec, und lacht. Zum zweiten Mal lädt sein Kloster bei Krakau Gäste zum gemeinsamen Begrüßen des Neuen Jahres ein.

Obwohl die Mönche in Tyniec keine Werbung für ihr Angebot gemacht haben, sind die Brüder von dem Andrang vollkommen überrascht worden: Fast 300 Menschen haben sich gemeldet, die Plätze haben nur für 90 gereicht. Es gebe nicht genügend Übernachtungsmöglichkeiten für alle Interessierte, sagen die Organisatoren mit etwas Bedauern. Denn grundsätzlich freuen sie sich über das Interesse: „Es bedeutet, dass die Menschen Zeit zum Nachdenken und Ruhe brauchen.“

Das Benediktinerkloster in Tyniec ist das bekannteste in Polen, das ein solches Angebot hat, doch nicht das einzige. Nach groben Schätzungen bieten schon mehrere Dutzend Orden in ganz Polen eine Silvesterfeier für Laien an. Die meisten „Silvester-Klöster“ befinden sich in Kleinpolen, Schlesien, aber auch im Ostpolen. Die ersten haben schon Anfang der Neunziger begonnen – allerdings eher durch Zufall.

Unter den ersten mit so einem Angebot waren die Benediktiner aus dem großpolnischen Lubin. Sie hatten früher Meditationsaufenthalte zu Weihnachten angeboten, bis sie feststellten, dass die Menschen oft fragten, ob sie länger bleiben können, erinnert sich Pater Maksymilian aus Lubin. „Die hektischen Tage und lauten Feiern wollten sie meiden.“ Und so haben die Benediktiner in Lubin auch ein Silvester im Kloster eingeführt. Ihnen folgten bald mehrere Schwester- und Bruderorden aus ganz Polen.

Das Programm ist überall ziemlich ähnlich: Es wird nachgedacht, geschwiegen, gebetet – obwohl das Beten keine Pflicht ist, genauso wie die Teilnahme am Gottesdienst, der am Silvesterabend stattfindet. Gegessen wird zusammen mit den Brüdern und Schwestern, geschlafen in den gleichen Zellen, in denen die Mönche leben. Keine Sonderbedingungen für die Gäste. Fernsehen steht nicht zu Verfügung, das Internet selten. Es wird auch nicht getanzt und gefeiert. Und wenn gesungen wird, dann Mönchsgesänge.

In den Klöstern wird das Neue Jahr ruhig begrüßt und vor allem ohne Alkohol. Stattdessen Tee, wie in Tyniec, oder Milch wie auf dem Berg der Heilige Anne. Das alles gefällt den Gästen, die sich oft in den Klöstern vor dem Feierzwang verstecken wollen. „Wenn ich gefragt werde, wo ich Silvester verbringe, und ich antworte, dass in einem Kloster bin, werde ich in Ruhe gelassen. Wenn ich sage, dass ich zu Hause bleibe, werden meine Bekannte so lange nachhaken, bis ich mit ihnen mitgehe, aber ich habe keinen Spaß dabei“, sagt ein Mann in einem Internet-Forum, der schon zum zweiten Mal Silvester in einem Kloster in Schlesien feiert.

Die Teilnehmer, die sich im Internet austauschen, erstellen sogar eigene Ranking-Listen von Klöstern, die „echte Klöster sind, und noch nicht über gehobenen Hotel-Standard verfügen“.  Es gehe nicht nur um ein spirituelles Erlebnis in einer reinen Atmosphäre, die frei ist von scheinbarem Glanz. Manchmal wird ein Abenteuer gesucht. „Nur so kann man ein einzigartiges Silvester erleben, wie in dem Film „Der Name der Rose““, erzählt Ryszard, der mit seiner Ehefrau auf Empfehlung seines Bruders das letzte Silvester in einem alten Klosterin Lubin verbracht hat.

Die Gäste sind, obwohl das überraschen mag, eher jung. Es kommen viele Geschäftsleute, Selbstständige und Studenten. „Wir haben vor einem Jahr eine Sekretärin und einen akademischen Lehrer beherbergt, genauso wie einen Vorstandvorsitzenden einer Aktiengesellschaft und den Besitzer eines Gewehrladens“, erzählt Pater Jan aus Tyniec. Von konservativen und älteren Gläubigen keine Spur. Einige Klöster wenden sich an Ehepaare, andere an Studenten, noch weitere an Nachbarn aus der Region. Nirgendwo gibt es eine Voraussetzung bezüglich der Konfession der Gäste.

„Silvester im Kloster besetzt eine Marktnische, die wohl Erfolg bringen kann“, sagt der Touristiker Dawid Puchala. Ein solches Angebot werde „nie massiv verkauft werden“, aber es werde wohl seine Kunden unter der steigenden Zahl jener Menschen finden, die nach einem spirituellen Erlebnis suchen.

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