Bundespräsident Köhler in Warschau
Köhlers Besuch in Warschau ist von Politikern und Medien als wichtiges Zeichen für die deutsch-polnischen Beziehungen gelobt worden(n-ost) – Zwei Nachbarn an einem Tag, doch Bundespräsident Horst Köhler besuchte nach seiner Wiederwahl zuerst Polen. Die Stippvisite des alten und neuen Bundespräsidenten heute in Warschau wurde in Polen als wichtiges Symbol betrachtet: „Es ist ein gutes Zeichen für die deutsch-polnischen Beziehungen“, sagte Köhlers Amtskollege Lech Kaczynski. Der konservative Politiker ist bekannt für seine skeptische Einstellung gegenüber Deutschland.Bei Kaczynski warb Köhler für den Vertrag von Lissabon, den Kaczynski, trotz der Zustimmung durch das polnische Parlament, noch nicht unterschrieben hat. Lech Kaczynski wiederholte, dass Polen die Ratifizierung nicht stoppen werde und dass er für Polen unterzeichnen werde, sobald die Iren dem Vertragswerk zustimmen. Gesprochen wurde auch über die aktuelle Wirtschaftskrise und die Lehre, die die nationalen und internationalen Behörden aus der aktuelle Situation daraus ziehen sollten. Es sollten neue Instrumentarien gefunden werden, die besser an die Realität angepasst sind als bisher, einigten sich die beiden Politiker.Wichtiger als diese Themen war jedoch für Warschau die Tatsache, dass Köhler ausgerechnet Polen als Ziel der ersten Reise seiner zweiten Amtszeit gewählt hat. Polnische Medien betonten in ihren gestrigen Ausgaben, dass dies kein Zufall sei. Genauso habe er es in seiner ersten Amtszeit gemacht. Warschau sei in seiner Politik wichtiger als Paris, schlussfolgerten die Kommentatoren. Obwohl in Polen bekannt sei, dass der Bundespräsident nicht die erste Geige in der deutschen Politik spielt, sei dieses Symbol für den östlichen Nachbarn sehr wichtig.Das Verhältnis zwischen Polen und Deutschland ist indes noch sehr gemischt. Das Interesse an Deutschland in Polen ist größer als umgekehrt. Deutschland wird als der größte Handelspartner geschätzt. Der deutsche Kabarettist Steffen Möller wird in Polen bejubelt, die grenzüberschreitende Jugendarbeit entwickelt sich wie mit keinem anderen Land. Doch andererseits tauchen immer wieder Vorurteile und Ängste, die aus der Geschichte herrühren, auf. Die Forderungen der Preußischen Treuhand, die Parolen der NPD gegen das Nachbarland werden in polnischen Medien regelmäßig hochgespielt.Auch Erika Steinbach, die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, ist an der Weichsel besser bekannt als zu Hause in Deutschland. Nicht weil die Polen grundsätzlich gegen Vertriebene sind, sondern weil Steinbach, als Tochter eines im okkupierten Polen stationierten Unteroffiziers, immer wieder an das Bild von Deutschland als Besatzungskraft erinnert. Und sie weckt Ängste, dass die Millionen getöteten Polen in Deutschland bald vergessen sein könnten.Auch Köhlers persönliche Geschichte ist in Polen gut bekannt. Auch er wurde in Polen geboren, als seine Eltern dorthin, nach der Vertreibung polnischer Bewohner, umgesiedelt wurden. Allerdings wirft ihm das in Polen niemand vor. Ganz in Gegenteil. „Wir hoffen, dass Präsident Köhler seinen Geburtsort besucht“, sagt Mieczyslaw Barton, der Gemeindevorsteher von Skierbieszow in Ostpolen, wo der Präsident 1943 geboren wurde. Bisher warten sie vergeblich, doch vielleicht ändert sich daran bald etwas. Auf der Pressekonferenz, zwischen den Aussagen über den Lissaboner Vertrag und die Wirtschaftskrise, kündigte Horst Köhler an, er wolle noch in dieser Amtszeit seinen Geburtsort besuchen.Gerade wegen seiner familiären Geschichte seien ihm die Beziehungen zu Polen so wichtig, betonte Köhlers mehrmals. In einem Interview mit der „Gazeta Wyborcza“, der größten Qualitätszeitung Polens, sagte Köhler, dass er sich an die „Danziger Erklärung“ halte. 2003 hatten die damaligen Präsidenten Johannes Rau und Aleksander Kwasniewski in Danzig gemeinsam festgestellt, dass es für „Entschädigungsansprüche, für gegenseitige Schuldzuweisungen und für das Aufrechnen der Verbrechen und Verluste“ keinen Platz mehr gebe. Sie hatten damals gefordert, die Geschichte von Flucht und Vertreibung in Europa gemeinsam zu bewerten. Horst Köhler warb gestern um Verständnis für die deutsche Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Schließlich solle sie der Erinnerung an Vertreibungen in Europa dienen.Doch Anspruchsdenken, Vorwürfe und Vorurteile tauchen immer noch auf beiden Seiten auf. Köhler betonte deshalb am Montag in Polen wieder, dass es in Deutschland keine wichtige politische Kraft gebe, die die Geschichte neu schreiben wolle. Zum gegenseitigen Verständnis sollten, so der Präsident, künftig engere Kontakte zwischen junge Deutschen und Polen beitragen, die sich ein eigenes Bild machen könnten.Agnieszka Hreczuk
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