Kühler Kopf für die Spitze des EU-Parlaments
Die Wahl des ehemaligen polnischen Regierungschefs Jerzy Buzek als Präsident des EU-Parlaments gilt als so gut wie sicher
(n-ost) – Der Champagner floss in Warschau in Strömen. „Wir haben gewonnen“, kommentierte man in Polen Sonntagnacht die Entscheidung von Mario Mauro. Der italienische Kandidat hatte sich aus dem Wettbewerb um die Stelle des EU-Parlamentspräsidenten zurückgezogen. Mauro habe, hieß es, nicht genug Unterstützung von der größten Fraktion im Parlament, der europäischen Volkspartei ( EPP) – trotz der Kampagne von Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Nun schlägt die Stunde des Jerzy Buzek.Der Europaabgeordnete der polnischen liberalen Bürgerplattform und Mitbewerber Mauros aus derselben Fraktion wird öffentlich u.a. von Deutschland und Frankreich unterstützt. Weil die EPP noch eine Alliierte bei der Abstimmung braucht, einigte sie sich am Montagabend mit den Sozialisten. Buzek bekommt nun auch deren Unterstützung. Allerdings bleibt Buzek damit nur für zweieinhalb Jahre Vorsitzender und wird dann ersetzt durch Martin Schulz (SPD).Die immer wahrscheinlichere Wahl Buzeks wird zwar in Polen schon groß gefeiert, sie ist aber für viele Politiker eine Überraschung. Denn politische Kollegen und Gegner haben ihn schon am Ende seiner politischen Karriere gesehen. Einst war er der erste Protestant nach dem Krieg, der in Polen Regierungschef wurde, verlor seinen Posten aber als einsamer Mensch. Denn die Bevölkerung unterstützte seine Regierung nicht, Kollegen hielten sich fern. Heute lieben ihn die Polen wieder und in der EU steht ihm eine Karriere bevor, die in Polen ihresgleichen sucht. „Nach Papst Johannes Paul II. wird Buzek der zweite Pole, der eine solche wichtige Stellung erreicht hat“, beschrieben ihn die Medien.Der Sprung nach Brüssel ist nicht die erste Wende im Leben des 68-jährigen promovierten Chemikers aus Schlesien. Er ist der ruhige Mann, der häufig lächelt. In der Öffentlichkeit tritt er immer im Anzug auf. Er regt sich selten auf, zumindest ist dies nicht zu sehen – ein weiterer Vorteil in der polnischen politischen Szene, die in der jüngsten Vergangenheit von Beschuldigungen, harten Kämpfen und Affären dominiert wird. Mit seiner Art gewinnt Buzek in Polen Menschen. Bei den Europa-Wahlen hat er deutlich in ganz Polen gesiegt. Mit fast 400.000 Stimmen überholte Buzek alle andere Kandidaten, darunter auch die ehemalige EU-Kommissarin Danuta Hübner und den populären ehemaligen Justizminister Zbigniew Ziobro.Als Jerzy Buzek 1997 zum ersten Mal als Kandidat für den Posten des Ministerpräsidenten in der Regierung von Solidarnosc erwähnt wird, greifen Journalisten verwirrt zum Telefon. Kaum jemand weiß, wer Jerzy Buzek, damals 57, ist. In der nationalen Politik ist sein Name unbekannt, trotz seiner relativ langen Erfahrung als Politiker. 1980 schließt Jerzy Buzek sich Solidarnosc an, schreibt für die Untergrundpresse, begleitet die Solidarnosc-Anführer. Allerdings steht er immer etwas in deren Schatten. Bald fungiert er als Experte, diese Rolle passt wohl am besten zu ihm. Deshalb braucht ihn die regierende Partei.Marian Krzaklewski, der damalige Solidarnosc-Vorsitzende, will nicht riskieren, dass er als Regierungschef durch unpopuläre Entscheidungen seine Beliebtheit verliert. Buzek soll als Schutzschild fungieren. Doch ausgerechnet seine Ruhe und Ausgeglichenheit sind schon damals von Vorteil. Als Solidarnosc und Krzaklewski sich blamieren und bei den Wahlen 1997 aus dem Parlament fliegen, bekommt Buzek überraschend viele Stimmen. Und trennt sich von Solidarnosc und erstmals von der Politik. Kurz, denn der Job als Chemie-Professor passt ihm wohl nicht. 2004 versucht er erfolgreich den Sprung ins EU-Parlament, 2009 wiederholt er den Erfolg.Im EU-Parlament war er von Anfang an einer der bekanntesten Abgeordneten. Zum Teil deswegen, weil er in der vergangenen Legislaturperiode einer von vier ehemaligen Ministerpräsidenten im Parlament war. Immerhin, schätzen Kommentatoren ein, habe diese Tatsache ihm geholfen, sich vom Rest abzuheben. Doch Buzek beließ es nicht dabei: Er debattierte im Plenarsaal und führte die Arbeit am Wissenschaftsprogramm, was eine Mitbestimmung beim drittgrößten EU-Haushalt bedeutete. Diesen Feuertest bestand Buzek hervorragend, was ihm gerade jetzt, vor der Wahl des Parlamentsvorsitzenden, Vorteile einbringt. Neben den Bemühungen der polnischen Regierung versucht er vor allem selbst, sich Stimmen zu sichern. Er spricht viel und oft mit den Kollegen aus dem Parlament. „Ziemlich oft“, sagte Buzek in einem Interview, „riefen sie mich kurz danach an und versprachen, ihre Stimme für mich abzugeben.“ So wird es wohl kommen - die Abstimmung findet in der kommenden Woche, am 14. Juli, statt.„Es ist symbolträchtig und sehr wichtig, dass 20 Jahre nach der Wende ein Vertreter der neuen EU-Mitgliedsländer diese Stelle übernimmt“, sagte Pawel Gras, der polnische Regierungssprecher. Doch nicht alle sehen es so. Während die sozialdemokratische Opposition in Polen die Freude offiziell teilt, sucht die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nach Wermutstropfen. Sie werden zwar bei der Abstimmung im Parlament Buzek unterstützen, sagt Jacek Kurski, der EU-Abgeordnete der PiS, aber andere Gedanken seien auch dabei. Denn durch die Wahl Buzeks verliere Polen die Chance auf viel wichtigere Posten, zum Beispiel den Kommissar für Wirtschaft oder Außenpolitik. Eine solche Stelle würde Polen und dessen Interessen mehr bringen, als eher repräsentative und unbedeutende Europaparlamentsvorsitzende, so Kurski.Agnieszka Hreczuk
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