Deutschland

Revolution bei der Kommunalwahl

In Löcknitz in Mecklenburg-Vorpommern kandidieren drei Polen bei der Kommunalwahl. Das ruft die NPD auf den Plan, die im Wahlkampf dagegen wettert

(n-ost) – Katarzyna Werth – nein, in diesem Vornamen steckt kein Schreibfehler. Eine Polin kandidiert in Löcknitz in Mecklenburg-Vorpommern für die Kommunalwahlen. „Protokoll der Mitgliederversammlung, Bescheinigung über Wählbarkeit eines Unionsbürgers, Versicherung an Eides statt, Zustimmungserklärung der Kandidatin…“, zählt Katarzyna Werth auf. Der Wahlvorschlag ist komplett. Eine Revolution steht vor der Tür.Das 3000-Seelen Dorf Löcknitz im pommerschen Landkreis Uecker-Randow ist keine typische ostdeutsche Ortschaft. Denn statt Abwanderung nach Westen erlebt sie seit der EU-Osterweiterung eine Einwanderung aus dem Osten. Konkret: aus dem rund 20 Kilometer entfernten Stettin. Billigere Immobilien- und Mietpreise, eine ruhige Umgebung und eine gute Infrastruktur locken polnische Familien in das deutsche Dorf. Immerhin galt vor dem Zweiten Weltkrieg Krieg Löcknitz als Vorort der pommerschen Metropole Stettin.


Dass in Löcknitz viele Polen leben, lassen die polnischen Restaurants und Märkte erkennen. Foto: Agnieszka HreczukDer Zuzug aus Polen beseitigte den Leerstand und hob den Abwanderungseffekt auf. Die Bevölkerungszahl wuchs, was Löcknitz als Vorbild für Integration deutschlandweit in die Medien gebracht hat. Doch im Hintergrund wuchsen auch Angst und Misstrauen. „Am Anfang gab es nur ein paar Polen bei uns. Das war völlig in Ordnung. Aber jetzt kann ich häufiger Polnisch als Deutsch hören und fühle mich nicht mehr wie in Deutschland“, erzählt eine Frau, die gerade vor der Eingangstür zu ihrem Plattenbau steht. „Warum wollen sie alle zu uns?“Diese Angst und das Misstrauen hat inzwischen die NPD für ihre Propagandamaschine entdeckt. Die Polen kämen nach Löcknitz wegen der Sozialleistungen, heißt es. Und sie bekämen bessere und billigere Wohnungen – so lauten die Gerüchte, die durch die Gemeinde kreisen. Doch keiner weiß es genau, jeder hat es von jemand anderem gehört. Aber von wem? „Die schleichende Polonisierung Pommerns hat begonnen”, alarmieren die Rechtextremisten und warnen vor „Entdeutschung und Landübernahme“. Im aktuellen Wahlkampf werben die Rechtsextremen mit dem klaren Aufruf: „Polen-Invasion stoppen“.Öl auf die Propagandamaschine der NPD gießen nun die Kandidaturen der Polen für die Kommunalwahl. Zum ersten Mal treten in diesem Jahr in Mecklenburg-Vorpommern drei Polen an: ein Kandidat für den Kreistag, zwei Kandidatinnen für den Gemeinderat in Löcknitz. Das, was beispielsweise im deutsch-dänischen Grenzgebiet zu Normalität gehört, bedeutet in Vorpommern eine echte Revolution. Denn bisher hat nur einmal ein Ausländer bei den Wahlen in Löcknitz kandidiert. „Ein Engländer“, erinnert sich der Beamte im Rathaus. Doch damals, erzählt er, habe es deshalb keinen Wirbel gegeben. Der Engländer hat zudem kein Mandat errungen und die Sache war bald vergessen.Die Kandidaturen der beiden Polinnen in Löcknitz sorgen dagegen für Aufregung. Nicht nur bei den Neonazis. In Polen berichten Medien immer wieder über das Ereignis, unter dem Titel „Unsere kandidieren in Deutschland“. Das nervt Dorota Siudak-Pankau. Die 29-jährige Erzieherin ist zwar Polin, „aus eigener Wahl aber Löcknitzerin, also eine von hier“. Und so will sie auch betrachtet werden. Aufgestellt wurde sie von der CDU. „Ihr Programm hat am besten zu mir gepasst“, sagt sie. Der CDU wiederum gefiel Dorotas Vorschlag für eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche. „Nicht polnische oder deutsche Kinder, sondern unsere hier vor Ort“, sagt Dorota.„Eigentlich hätten wir gerne noch mehr polnische Mitbürger auf unserer Liste gehabt“, sagt Detlef Ebert, der CDU-Ortsgruppenchef in Löcknitz. Doch irgendwie habe es nicht geklappt. Ebert klingt verbittert. Es gebe kein großes Interesse von der polnischen Seite, zusammen aufzutreten, so sein Eindruck. Anderswo ist zu hören, dass nicht alle polnische Kandidaten von der CDU akzeptiert worden sind. Ein Kandidat hätte dem ideellen Rahmen nicht entsprochen. Eine weitere Kandidatin war Katarzyna Werth, die sich letztlich für die rein polnische Liste entschieden hat. Werth kandidiert jetzt auf der Ein-Mann-Liste der Wählergemeinschaft Pomeraniak. „Ich wollte parteilos bleiben“, erklärt sie, „von jeglichem Partei-Einfluss unabhängig.“ Die Wählergemeinschaft Pomeraniak, die sich extra für die Wahlen organisiert hat, ist stolz auf ihre Kandidatin. „Sie ist ein Vorbild“, sagt Jacek Stachyra, der Vorsitzende von Pomeraniak. „Das deutsch-polnische Gymnasium in Löcknitz hat sie im ersten Jahrgang abgeschlossen, die Sprache kennt sie, jetzt wohnt sie mit einem deutschen Ehemann und einem Kind wieder in dem Ort.“ Ein Vorbild für Integration, das sich für Integration engagieren will. So ist ihr Programm. „Über das Konkrete denken wir später nach“, sagt sie. Sie wolle erst einmal helfen, damit sich die Polen in Löcknitz einleben. Und sie will ihre Stimme sein. Deshalb erhofft sie sich die Unterstützung der polnischen Mitbürger. 200 Familien wohnen in der Gegend. Wenn sie deren Stimmen bekomme, schaffe sie es sicher ins Gemeindeparlament, rechnet sie. „Vielleicht wählen mich auch Deutsche, Leute, die mich kennen. Aus der Schule noch oder aus der Nachbarschaft.“ Da ist sie zuversichtlich.„Polnische Liste? Hilfe beim Einleben?“ Grzegorz Miszuk, der vor zwei Jahren mit seiner Familie nach Löcknitz gezogen ist, kann die Hoffnungen von Pomeraniak leicht zerschlagen. „Konkretes will ich. Hilfe bei Einleben bekomme ich beim Amt“, kritisiert er offen das Wahlprogramm der polnischen Liste. Straßen, Schulen, Gesundheit. Diese Themen interessieren Miszuk. „Für einen Polen werde ich nicht stimmen, nur weil er ein Pole ist“, sagt er. In Übrigen weiß er schon, wer er wählt. „Jemanden, der mir in diesen zwei Jahren gezeigt hat, dass er gut arbeiten kann.“ Einen Deutschen, mit dessen politischer Meinung Miszuk vielleicht nicht immer einverstanden ist. Aber seine Leistung für die Gemeinde weiß der Neu-Löcknitzer zu schätzen. Bauunternehmer Jan Rybski, ein bekannte Löcknitzer Pole, ist auch skeptisch, was die polnische Liste betrifft. Weder Löcknitz, noch die Polen dort, seien der Situation gewachsen, glaubt er. Die Integration auf beiden Seiten ist aus seiner Sicht noch nicht gelungen: Für viele Polen sei das Dorf nur ein Ort zum Schlafen und keine Heimat. Das selbstständige politische Engagement könne zu mehr Spannungen führen. Was die bisherige Kampagne schon gezeigt habe.„Wir fürchten uns davor, dass die Extremisten durch die polnische Liste mehr Unterstützung bekommen“, sagt auch Detlef Ebert aus der CDU. Damit könnten sie die vorhandenen Ängste hochspielen. Davon ist indes noch nichts zu spüren. Die Einwohner bleiben zurückhaltend. „Eine polnische Liste? Keine Ahnung. Ich habe kein Interesse an Politik“, sagt ein Passant vor dem Einkaufszentrum. Eine Frau in der Seitenstraße will sich nicht äußern. Schließlich sagt sie, die Situation sei völlig neu für sie. „Man muss sich noch daran gewöhnen.“


Katarzyna Werth kandidiert als einzige auf der Liste der polnischen Wählergemeinschaft  Pomeraniak in Löcknitz. Foto: Agnieszka HreczukDie Leute seien hier schon immer etwas verschlossen und misstrauisch gewesen, erklärt eine andere Frau. Noch misstrauischer seien sie geworden, als im Januar 2008 mehrere polnische Autos beschädigt wurden. Die Medien nannten Löcknitz sogleich eine Wiege der Neonazis. „Jetzt hat jeder Angst davor, dass er gleich in eine Schublade gesteckt wird, wenn er etwas sagt“, erklärt die Frau. Deshalb wollten die Einwohner, wenn sie überhaupt schon reden, anonym bleiben. Auch wenn ihnen keine Fremdfeindlichkeit vorgeworfen werden könne.Anonym will auch eine junge Frau bleiben, für die die polnischen Kandidaturen bei den Kommunalwahlen kein Problem seien, wie sie sagt. Dass sie ihren Namen trotzdem nicht nennt, hat einen praktischen Grund: Sie vermietet Wohnungen an Polen und möchte nicht, dass die Scheiben zerschlagen werden. „Nicht von den Neonazis, sondern von frustrierten Jugendlichen“, erklärt sie. Selbst wird sie ihre Stimme nicht für Polen geben. „Ich kenne keine der beiden Kandidatinnen. Aber wenn ich sie dann im Gemeinderat arbeiten sehen werde und erfahre, was sie für uns machen, vielleicht wähle ich sie dann beim nächsten Mal“, erklärt sie. Ihr Begleiter sagt: „Irgendwann wird es hier genauso sein, wie an der Grenze zu Holland oder Dänemark. Ganz normal. Man braucht nur Zeit, guten Willen und Aufklärung. Vor allem aber die Erfahrung des Miteinanders.“Agnieszka Hreczuk
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