Tschechien

Vorsicht im Spionagefall Zilk

Im Geheimdienstfall um den ehemaligen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk sind die Tschechen vorsichtig mit schnellen Verurteilungen(n-ost) - Die einen in Österreich verteidigen ihn bis aufs Messer, die anderen haben den Stab über ihn gebrochen. Helmut Zilk entzweit eine ganze Nation, auch noch nach seinem Tod. In Tschechien - das sehr direkt mit dem vermeintlichen Spion Zilk zu tun hat - ist das anders. Die Zeitungen nahmen die "Enthüllungen" des österreichischen Nachrichtenmagazins "profil" über den vermeintlichen Agenten des kommunistischen tschechoslowakischen Spitzeldienstes StB mit Gleichmut auf und zitierten kurz. Das war es dann auch schon. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Vorwürfe nicht neu sind. Vor "profil" hatte sich die auflagenstärkste seriöse Prager Zeitung "Mlada fronta dnes" neuerlich über den Fall hergemacht - "profil" förderte keinen Deut mehr zutage als zuvor die tschechischen Kollegen. Wichtiger aber ist etwas anderes. Die Tschechen, die 40 Jahre Kommunismus hinter sich haben, sind vorsichtig, wenn es um Stasi-Geschichten geht. Anders als die Österreicher kennen sie ihre alten kommunistischen Pappenheimer. Es gibt kein nahezu blindes Vertrauen in Akten, die der Staatssicherheitsdienst einst angelegt hat. Und die Tschechen haben guten Grund, diesen Akten - mögen es auch alles Originale sein-, zu misstrauen.Es war im kommunistischen Prag nämlich durchaus üblich, alle und jeden als Spitzel zu führen. Auch der erste frei gewählte Staatspräsident nach der Wende, der über jeden Zweifel erhabene Vaclav Havel, stand auf der Liste der vermeintlichen Mitarbeiter von StB. Das war kein Zufall: Die Stasi-Leute bekamen Kopfgelder für jeden Spitzel, den sie angeblich für die Zusammenarbeit gewonnen hatten. Und nicht nur einmal strichen sie Prämien für Leute ein, die gar nichts davon wussten, dass und wie sie auf die Listen der Spitzel gelangt waren. Das hatte nach der Wende peinliche Folgen. Reihenweise waren beispielsweise Spitzel aus dem Kreis der Abgeordneten des tschechoslowakischen Föderalparlaments "enttarnt" worden. In öffentlicher Sitzung, vor den Augen der Live-Kameras des Fernsehens. Die des Verrats bezichtigten Parlamentarier gingen vor Gericht. Und sie bekamen durchweg alle Recht und einen Persilschein ausgestellt.Zilk hatte Pech. Die Akten, die es über ihn gab, bekam der damalige Chef der Aufarbeitungsbehörde, Vaclav Benda, selbst zu Gesicht. Benda hatte viele Jahre als Dissident unter der Verfolgung durch den StB leiden müssen. Und er galt als Hardliner, der es sehr genau nahm. Auf Bendas Hinweis hin strich Vaclav Havel Zilk von einer Auszeichnungsliste zum tschechoslowakischen Staatsfeiertag. Dumm war, dass die Sache ruchbar wurde. Zilk kämpfte um seine Rehabilitierung, flog dazu extra an die Moldau. Den Orden bekam er trotzdem nicht.Doch es war wiederum Havel, der Zilk am Ende in Schutz nahm und an dessen Grab im Namen seiner Landsleute um Vergebung für die einstigen Verdächtigungen bat. Für die Österreicher, wie die jetzige Debatte zeigt, vergebliche Liebesmüh.Der etwas andere Umgang mit dem Fall in Tschechien hat aber auch noch einen anderen Grund. Viele Tschechen haben nicht vergessen, was Zilk für die Freiheit in ihrem Land getan hat. Die von ihm initiierten legendären "Stadtgespräche" in der Zeit des Prager Frühlings boten Tschechen erstmals die Chance, live und frei ihre politischen Meinungen zu äußern. Dass Zilk bei der Vorbereitung der Sendungen auch mit Stasi-Leuten zu tun gehabt haben müsste, ist den Tschechen verständlich. Anders wären diese Gespräche nicht zustande gekommen, das wissen sie nur zu gut.Es ist die Mischung aus Dankbarkeit und Vorsicht beim Umgang mit der eigenen Geschichte, die die Tschechen veranlasst, die hochkochende Debatte über Zilk in Österreich eher verständnislos zu beobachten. Wie immer sie ausgehen mag - das Bild, das die Tschechen von Zilk haben, wird sie nicht verändern.
Hans-Jörg SchmidtENDE
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