"NICHT DIE EU-VERFASSUNG IST BEDROHT, SONDERN UNSERE DEMOKRATIE"
Die slowakische Opposition droht im Kampf gegen ein neues Pressegesetz mit einem Boykott des Vertrages von LissabonDer Auftritt von Präsident Ivan Gasparovic im Foyer des Slowakischen Nationalrats, dem Parlament von Bratislava, war bühnenreif: Mit tiefen Sorgenfalten auf der Stirn sprach er von einer "Welle von Telefonanrufen" aus westlichen Botschaften. Die Vertreter der EU-Staaten hätten sich verwundert gezeigt über das, was da im Parlament vorgehe. "Es war immer ein Konsens in unserem Land, dass EU-Fragen nicht mit innenpolitischen Fragen vermischt werden. Die Opposition hat diesen Konsens jetzt aufgekündigt und löst Besorgnisse über die Verlässlichkeit der Slowakei aus." Das klang dramatisch, schüchterte die so gescholtene Opposition aber nicht ein.Als am Mittwochabend die Abstimmung über den EU-Vertrag von Lissabon anstand, verließen alle Abgeordneten des bürgerlichen Lagers demonstrativ den Sitzungssaal. Damit war die Abstimmung geplatzt. Das Regierungslager aus linkspopulistischer Partei Smer von Premier Robert Fico, der rechtsextremen Nationalpartei SNS und der Bewegung für eine demokratische Slowakei HZDS-LS des früheren autokratischen Regierungschefs Vladimir Meciar verfügt nicht über die erforderlichen 90 der 150 Mandate im Nationalrat, um den EU-Vertrag ratifizieren zu können. Der Boykott der bürgerlichen Opposition gilt jedoch nicht wirklich dem Vertrag von Lissabon. Es waren immerhin eben diese bürgerlichen Kräfte, die über zwei Legislaturperioden mit viel Mühe alles getan hatten, um die Slowakei aus der internationalen Isolierung herauszuholen, in die sie von Meciar hineinmanövriert worden war. Mit einer Vielzahl von Reformen und einer Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen machten sie die Slowakei erst fit für EU und Nato. Zu glauben, dass die bürgerlichen Kräfte nun plötzlich gegen die Integration des Landes in die europäischen Strukturen zu Felde zögen, wäre aberwitzig. "Sie wissen ganz genau, dass wir für den Vertrag von Lissabon sind", sagte Oppositionsführer Mikulas Dzurinda an die Adresse von Premier Fico. "Der EU-Vertrag ist nicht bedroht. Bedroht ist vielmehr das Niveau der Demokratie in unserem Land durch den Entwurf eines undemokratischen Pressegesetzes." So lange die Regierung diesen Entwurf nicht zurückziehe, werde sich die Opposition der Abstimmung über Lissabon verweigern.Es ist durchaus nicht unumstritten, dass die Bürgerlichen den Vertrag von Lissabon "in Geiselhaft" nehmen, wie es ein slowakischer Kommentator formulierte. Nicht sonderlich glücklich darüber zeigte sich auch der französische Politologe mit tschechoslowakischen Wurzeln, Jacques Rupnik: "Hier geht es nicht um die slowakische Regierung, sondern um das bessere Funktionieren der Europäischen Union. Es wäre unbegreiflich, wenn der EU-Vertrag aus rein innenpolitischen Gründen blockiert würde", sagte er der Zeitung "Sme". Das Problem für die Opposition ist aber, dass sie keine anderen Mittel zur Verfügung hat, um auf eine ungute Entwicklung in der Slowakei auch international aufmerksam zu machen. Und der Umgang der Regierenden mit den Medien nimmt in der Tat immer besorgniserregendere Formen an.Premier Fico beschwert sich seit seinem Amtsantritt vor einem reichlichen Jahr regelmäßig über die vermeintliche "Unprofessionalität" der Medien. Unprofessionell ist für Fico aber jeder, der die Regierung kritisiert. Die wachsenden Einmischungsversuche in die Arbeit der Journalisten führten bereits zu einem Massenexodus von Redakteuren aus der Nachrichtenabteilung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens STV. Das neue Pressegesetz soll die Medien nun noch weiter knebeln. Es räumt jedem - vor allem auch der Regierung - ein Recht auf Gegendarstellungen ein, egal, ob die der Wahrheit entsprechen. Es sieht Geldbußen für die Redaktionen vor, die "sozial unannehmbares Verhalten" relativieren, rechtfertigen oder unterstützen. Dabei macht sich die Regierung selbst zur Entscheidungsinstanz. Das Kulturministerium soll künftig über alle Veröffentlichungen wachen. Derlei stößt bei den Medienmachern verständlicherweise auf Ablehnung. Die Vorsitzende des Syndikats der slowakischen Journalisten, Zuzana Krutka, erinnerte Premier Fico in einem Brief daran, dass sie vor sieben Monaten um ein Gespräch bei ihm nachgesucht habe; auf eine Antwort warte sie bislang vergeblich. Scharfe Kritik kam auch vom Medienbeauftragten der OSZE, Miklos Haraszti. Seiner Meinung nach ist das neue Pressegesetz unvereinbar mit der internationalen Verpflichtung der Slowakei, die Medienfreiheit zu schützen. Die Opposition im Slowakischen Nationalrat bringt es auf den Punkt: Der Regierung gehe es einzig und allein darum, kritische Stimmen mundtot zu machen. Das könne und werde man nicht hinnehmen. Wie die Schlacht ausgeht, ist offen. Sowohl die Regierung als auch die Opposition haben ihre Haltung mittlerweile den Botschaftern der EU erläutert. Die Bürgerlichen scheinen entschlossen, vorläufig jede weitere Abstimmung über Lissabon zu ignorieren. Die Regierung wiederum kann sich ein Scheitern des EU-Vertrages im Parlament unter keinen Umständen leisten. Folgerichtig sagte sie am Mittwochabend die Abstimmung darüber ab, nachdem die Opposition den Saal verlassen hatte. Für Donnerstagabend war ein neuer Anlauf geplant. Doch ohne ein Einlenken der Regierung dürfte dieser ebenso scheitern. Die Opposition kann auf Zeit spielen. Die EU geht davon aus, dass erst bis Ende 2008 alle Mitgliedsländer den Vertrag von Lissabon ratifizieren. ENDENachdruck und Weiterverwertung dieses Artikels sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost-Büro unter (030) 30 83 11 87