Russen bevorzugt
Der serbische Ministerpräsident Kostunica sorgt mit der Sonderbehandlung von möglichen Investoren aus Russland für Unruhe in seinem Land. Offensichtlich will er dem Kreml damit für die Unterstützung im Kampf um das Kosovo danken. Experten befürchten eine zunehmende Abwendung Serbiens von Europa.
„Das ist nichts anderes als politische Korruption“, wettert der Wirtschaftsanalyst Misa Brkic, stellvertretender Chefredakteur des angesehenen Belgrader Wochenmagazins „Ekonomist“ im Gespräch mit dieser Zeitung. Brkics Kritik richtet sich an den serbischen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica, der im Juli gleich zwei russische Geschäftsleute persönlich empfangen hatte, um ihnen die Übernahme von serbischen Staatsbetrieben schmackhaft zu machen. Der schwerreiche kremlnahe Aluminium-Magnat Oleg Deripaska hat ein Auge auf das Kupfer-Bergwerk RTB Bor nahe der bulgarischen Grenze geworfen. Und Valerij Okulov, Generaldirektor der russischen Fluggesellschaft Aeroflot, zeigte sich interessiert, bei der hochdefizitären staatlichen serbischen Fluggesellschaft JAT Airways einzusteigen. Auch für die geplante Privatisierung des serbischen Erdölproduzenten Naftna Industrija Srbije(NIS) wird immer wieder das russische Unternehmen Lukoil als möglicher Übernahmekandidat gehandelt.
„Es ist doch nicht normal in einer Marktwirtschaft, dass der Premierminister noch vor der offiziellen Ausschreibung einzelne potentielle Kandidaten empfängt und sie auch gleich öffentlich als ideale Partner bezeichnet“, sagte Brkic. Wie viele andere Beobachter in Serbien ist auch er davon überzeugt, dass Kostunica mit seiner Charmeoffensive dem Kreml seine Dankbarkeit für die Unterstützung der serbischen Position in der Kosovo-Frage ausdrücken will. Moskau verhinderte bislang mit seiner Veto-Drohung alle Versuche der USA und der Europäer, mit einer neuen Resolution im UN-Sicherheitsrat dem Kosovo die Unabhängigkeit zuzugestehen. Doch Brkic sieht noch einen anderen Grund für Kostunicas Verhalten, nämlich dessen „politische Philosophie und Ideologie. Kostunica ist kein Europäer, sondern russophil und denkt, genau wie Milosevic, man müsse das orthodoxe Serbien enger mit dem orthodoxen Russland verbinden“.
Für den Belgrader Investment-Banker Aleksandar Malisic ist angesichts der Treffen Kostunicas mit russischen Wirtschaftsleuten ebenfalls klar, dass die derzeit anstehenden Privatisierungen serbischer Staatsunternehmen und die entsprechenden Angebote an Russland „Teil des aktuellen politischen Spiels“ sind. Dazu passt, dass die serbische Regierung Russland erst seit kurzem als bevorzugten Investitionspartner betrachtet, nämlich genau seitdem die Kosovo-Frage zuoberst auf der politischen Agenda Belgrads steht. Denn bislang waren die russischen Direktinvestitionen in Serbien äußerst bescheiden. Von 2000 bis 2006 betrugen sie nach Angaben der serbischen Nationalbank ganze 41 Millionen US-Dollar. Deutschlands Direktinvestitionen lagen im selben Zeitraum bei über 1,3 Milliarden Dollar, jene Österreichs bei fast einer Milliarde.
Noch bis vor einem Jahr schlug die serbische Regierung Angebote aus Russland sogar meist aus – offenbar scheute Belgrad das oft schlechte Image des russischen Kapitals, wie mehrere Experten bestätigten. „Aber auch in diesem Jahr ist außer Interessensbekundungen und Absichtserklärungen noch nichts passiert“, erklärte Malisic dieser Zeitung. Seiner Ansicht nach könnte jedoch insbesondere die Übernahme der JAT durch Aeroflot für den Kreml interessant sein, um auf diesem Weg an den Belgrader Flughafen zu kommen, der bislang ebenfalls in der Hand des serbischen Staates ist. Nachdem Russland seine Basen in den Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes verloren hat, könnte Serbien mit dem Belgrader Flughafen für Moskau in Zukunft durchaus von strategischer Bedeutung sein. Dazu passt auch das Ansinnen der russischen Marine, wieder vermehrt im Mittelmeer präsent sein zu wollen.
Zwar ist auch der Wirtschaftsexperte und Journalist des unabhängigen Wochenmagazins „Vreme“, Dimitrije Boarov aus Novi Sad, der Meinung, dass die JAT als Dank für die russische Kosovo-Unterstützung an Aeroflot gehen könnte. Doch er misst dem nicht allzu viel Bedeutung bei. Und eine wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland werde durch den Verkauf von JAT oder des Kupferbergwerkes Bor schon gar nicht entstehen. „Unsere Banken sind heute europäisch und morgen vielleicht amerikanisch. Wovon sind wir nun mehr abhängig, davon oder von einem Kupferbergwerk in russischer Hand?“, fragte Boarov im Gespräch mit dieser Zeitung. Zudem ist er überzeugt, dass die rentablen Staatsfirmen wie die Erdölindustrie NIS oder der Stromproduzent Elektroprivreda Srbije (EPS) unter der aktuellen serbischen Regierung niemals vollständig privatisiert werden, auch nicht durch den Verkauf an russische Investoren. Denn derzeit würden unzählige Gruppen im Dunstkreis der Regierung von den Gewinnen dieser Staatsbetriebe profitieren – „und das wollen sie sich nicht nehmen lassen“, so Boarov. Genau diese Verbandelung zwischen Politik und Wirtschaft sei es, die weitere westeuropäische Investitionen in Serbien oft verhindern würden, sagte ein in Belgrad ansässiger deutscher Banker dieser Zeitung. „Mit Ausnahme des Bankensektors, der nach westlichen Maßstäben funktioniert, kontrollieren der Staat oder Oligarchen den größten Teil der serbischen Wirtschaft.“
Verschiedene in- und ausländische Beobachter in Serbien sind sich indes einig, dass Ministerpräsident Kostunica kein wirkliches Interesse an der europäischen Integration seines Landes hat – weder wirtschaftlich noch politisch. Sein Nationalismus, seine ideologische Nähe zu den serbischen Radikalen und sein starrsinniges Festhalten an der Macht würden im Westen unterschätzt, heißt es immer wieder. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament erlauben es Kostunica und seiner Demokratischen Partei Serbiens jederzeit, sich von den aktuellen proeuropäischen Koalitionspartnern (Demokratische Partei von Staatspräsident Boris Tadic und die Wirtschaftsreformer von G17plus) abzuwenden und eine neue Regierung mit den ultranationalistischen Radikalen und den Milosevic-Sozialisten zu bilden. Diese beiden Parteien hatten die EU im Zusammenhang mit dem Kosovo-Streit unlängst als „Feind Serbiens“ bezeichnet und eine viel stärkere Anbindung an Russland verlangt. Für Misa Brkic ist klar: „In Sachen Kosovo setzt Kostunica derzeit einzig und allein auf die Karte Russland. Doch von der Lösung des Kosovo-Problems hängt letztlich die Aufnahme Serbiens in die EU ab. Das muss Serbien verstehen, sonst hat es definitiv keine europäische Perspektive.“ Genau darauf, so mutmaßen einige, könnte Kostunica derzeit hinarbeiten.