Tschechien

Gespräche über große Koalition

Konservative versuchen Regierung zu bilden Sozialdemokraten sollen schnell abtreten/Konservative wollen Druck erhöhen für Gespräche über große Koalition

Prag (n-ost) Die Demokratische Bürgerpartei ODS ist aus den Wahlen in Tschechien als stärkste Kraft hervor gegangen. Nach acht Jahren Opposition könnte die konservative Partei nun auf die Regierungsbank wechseln, doch dafür fehlen ihr bisher genügend Partner.Präsident Vaclav Klaus beauftragte am Montag den ODS-Vorsitzenden Mirek Topolanek mit der Regierungsbildung. Topolanek kündigte daraufhin Koalitionsverhandlungen mit den zwei kleinsten Parteien an. Die Gespräche mit der Christdemokratischen Partei laufen seit Dienstag und dürften auf eine Koalitionsvereinbarung hinauslaufen. Die neu im Parlament vertretene Grüne Partei wird wahrscheinlich ebenfalls mitmachen. Doch diese Koalition käme nur auf 100 von 200 Sitzen im Abgeordnetenhaus. Auf der anderen Seite stehen die bisher regierenden Sozialdemokraten (CSSD) und die Kommunistische Partei, die zusammen ebenfalls 100 Abgeordnete haben. Um zu regieren, müssten der neuen Mitte-Rechts-Koalition mindestens 101 Parlamentarier das Vertrauen aussprechen. Das gilt als unwahrscheinlich.Trotzdem will Topolanek diesen Weg so schnell wie möglich beschreiten, um die amtierende Regierung unter dem sozialdemokratischen Premier Jiri Paroubek abzusetzen. Die Strategie der Konservativen sieht weiter vor, bis zum Vertrauensvotum über ihre Koalition ohne Mehrheit Zeit zu gewinnen, um erneut mit den Sozialdemokraten über eine große Koalition zu verhandeln. Bisher lehnen die Sozialdemokraten ein solches Regierungsbündnis ab, obwohl es das einzige wahrscheinliche Modell ist für eine Mehrheit im neuen Parlament. Denn die Zusammenarbeit mit nicht reformierten Kommunisten lehnen alle Parteien außer der CSSD strikt ab. Nach einem Treffen des Premiers Paroubek mit dem ODS-Vorsitzenden Topolanek am Sonntag sagte der Sozialdemokrat, er werde weder eine große Koalition eingehen noch eine ODS-Minderheitsregierung tolerieren. Andererseits brauche das Land aber eine Regierung, räsonierte Paroubek, und deutete somit doch wieder eine große Koalition an. "Wir werden uns aber an keinen Reformen beteiligen, bei denen Blut fließt", schob er gleich nach.Das bezog sich auf die grundlegenden Unterschiede zwischen den Wahlprogrammen der Bürgerdemokraten und der Sozialdemokraten. Die Konservativen wollen weniger Sozialstaat und mehr Eigenverantwortung der Bürger. Vor allem möchten sie eine Einheitssteuer von 15 Prozent, vier Prozentpunkte niedriger als in der Slowakei.Die Sozialdemokraten haben den Sozialstaat bisher erhalten und wollen ihn ausweiten. Sie halten ihn für erfolgreich und verweisen auf das starke Wirtschaftswachstum von sechs Prozent sowie sinkende Arbeitslosigkeit, die zurzeit bei acht Prozent liegt.In der Europa-Politik vertreten die Parteien ebenfalls entgegen gesetzte Meinungen. Während Tschechien unter den Sozialdemokraten zur EU beigetreten ist, dominiert in den Reihen der ODS Ablehnung. Der Ehrenvorsitzende der Bürgerdemokraten und Präsident des Landes, Vaclav Klaus, ist als scharfer Kritiker der EU bekannt. Sichtbarstes Zeichen für seine EU-feindliche Haltung sind die Fahnenstangen des Präsidenten-Palastes, an denen auf Anordnung von Klaus keine EU-Flagge weht. Der Wirtschaftswissenschaftler Klaus ist unter anderem der Meinung, dass Tschechien die Mitgliedschaft in der EU bisher mehr Kosten als Nutzen gebracht habe. Von seiner Partei wird ebenfalls ein EU-skeptischer Kurs erwartet.Neuwahlen stehen hingegen nicht zur Debatte. Bei einer Diskussionsrunde im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hatten das alle Partei-Vorsitzenden ausgeschlossen. Der ODS-Chef Topolanek tat es in der Hoffnung, ein Kabinett für die volle vierjährige Legislaturperiode zusammenzustellen. Der Vorsitzende der Grünen, Martin Bursik, schloss Neuwahlen aus Respekt vor den Wählerinnen und Wählern aus: "Nach einer Wahl mit 65 Prozent Beteiligung über Neuwahlen zu sprechen, ist unverantwortlich."
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