Serbien

Leben unter der Abrissbirne

Ivan Timotijevic will nicht weichen und ist damit zu einer Symbolfigur gegen Staatswillkür und die befürchtete Verdrängung im Zuge des Bauprojektes „Belgrad am Wasser“ geworden. / Fotos: Katharina Haak, n-ost (Auschnitte)

„Bara Venecija“ - Venedigbecken, so heißt das Industrie- und Gewerbegebiet zwischen Save-Ufer und dem alten Bahnhof in Belgrad. Wegen des hohen Wasserstandes der Save wird es immer wieder überflutet. Es ist eine gealterte und vernachlässigte Landschaft aus Betonschutt und wild gewachsenen Bäumen, an der sich stillgelegte Gleise der serbischen Eisenbahn wie Falten entlangschlängeln. Und Bara Vencija ist das Zuhause von Ivan Timotijevic und seiner Familie.

   
Niemanden interessierte die heruntergekommene Nachbarschaft neben dem Viertel Savamala mit einst etwa 220 Einwohnern. Doch dann kündigte 2012 die serbische Regierung das größte Stadtbauprojekt des ehemaligen jugoslawischen Raums an: „Belgrad am Wasser“ auf just diesem Boden an. Bis 2019 möchte Ministerpräsident Aleksandar Vucic mithilfe von arabischen Investoren die Stadtteile am Save-Ufer in eine Art „serbisches Manhattan“ mit gläsernen Hochhäusern und Büros verwandeln.

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Ivan Timotijevic kämpft dafür, in seinem Haus wohnen zu    
bleiben.

Seit zwei Jahren nun kämpft Ivan Timotijevic gegen die Stadtverwaltung und die Baufirma „Eagle Hills“ aus Abu Dhabi um sein Haus, in dem er seit 27 Jahren mit seiner Frau, Tochter und drei Enkelinnen lebt. Er hält als Einziger stand. Seine Nachbarn haben Bara Venecija alle verlassen.

Wie die meisten seiner Nachbarn war Ivan Angestellter der serbischen Firma „Isrka“. Der Mechaniker bezahlte das Haus über 30 Jahre lang mit einem Teil seines Lohns ab. 2001 wurde die Firma zunächst verstaatlicht und dann Eigentum der serbischen Eisenbahn. Die Gesetze wurden geändert, Verträge unwirksam. Das Ergebnis: Alle Arbeiter blieben zurück – ohne Eigentumsrecht auf ihre abbezahlten Häuser.


Das Haus sollte zum Gerichtstermin nicht mehr existieren

Vor vier Monaten kam Ivans Räumungsbescheid, über den noch in diesem Monat ein Gericht entscheiden soll. Die Stadt bot ihm eine Wohnung an, für die er aber Miete zahlen müsste. Wenn er vor Gericht verliert, würde er zunächst auf der Straße landen. Nun kündigte die Stadt Timotijevic aber eine vorzeitige Räumung des Grundstücks an. „Wenn das Haus am Gerichtstermin gar nicht mehr existiert, wird es einfacher für die Stadt, den Prozess zu gewinnen“, meint Marko Aksentijevic, Sprecher der Bürgerinitiative „Ne da(vi)mo Beograd“ Die Initiative heißt übersetzt „Wir lassen Belgrad nicht untergehen“, sie engagiert sich seit zwei Jahren für den Stadtteil Savamala.

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Der Belgrader Künstler Danilo Prnjat unterstützt Ivan
Timotijevic bei seinem Protest.        

Auch zum angesetzten Räumungstermin am 26. August waren die Mitglieder von „Ne da(vi)mo Beograd“ samt Kamerateams und Journalisten zur Stelle. Am Vormittag belagerten etwa 50 protestierende Menschen Ivans kleinen Garten, um ihn und seine Familie vor dem Rausschmiss zu schützen. Der Belgrader Künstler Danilo Prnjat kam auch an diesem Morgen. Er hörte von der Räumung in der Nacht zuvor im Club: „Ich wusste, ich muss herkommen und für ihn kämpfen.“


Regenbögen an der Hauswand

Die Protestaktion hatte Erfolg. Niemand kam, obwohl Irena Vujovic, Vorsitzende der Stadtgemeinde Savski Venac, am gleichen Tag die Räumung noch gerechtfertigt hatte. Angeblich erfülle das Verfahren alle gerichtlichen Grundlagen, so Venac.
Ivan hält am angesetzten Räumungstag seine Verzweiflung bedeckt. Er gibt Interviews, zeigt seinen Gästen stolz seine Renovierungsarbeiten und stellt für sie kalte Getränke bereit. Auch seinen selbstgebrannten Rakija schenkt er für sie ein. „Die Früchte stammen aus diesem Garten“. Er zeigt auf den Baum neben dem Gartentisch. Ein Mann aus dem Nachbarbezirk hebt das Glas und trinkt darauf, dass die Abrisswagen heute Ivans Grundstück noch fernzubleiben scheinen.

„Ich glaube, heute wird nichts passieren“, meint Milos Injac, Aktivist von „Ne da(vi)mo Beograd“. „Sie werden in der Nacht kommen, wenn Polizisten und Kameras längst weg sind. Und das wird ihr größter Fehler sein. Denn jetzt wissen wir Bescheid.“ Bereits im April hatten maskierte Männer mit Baggern in der Nacht ein Kulturzentrum in Savamala illegal abgerissen.

Sein Mitstreiter Marko Aksentijevic ist seiner Meinung. Zu dem Fernsehteam in Ivans Garten sagt er: „Das ist ein gutes Beispiel, wie das System funktioniert. Es wird alles durch Gewalt und Repression durchgesetzt. Menschen wie Ivans Familie sind die Verlierer in diesem Kampf.“

Ivans Familie bleibt an diesem Tag im Haus. Lediglich seine Enkelinnen trauen sich in den Garten. Sie können den Grund des Trubels nicht erahnen und malen derweil ihre eigene Bilderwelt an die Wand des bescheidenen Häuschens: Herzen, „Love“ Schriftzüge, Regenbögen. Noch ist nicht absehbar, wie lange diese Wand stehen bleibt. „Wir nennen es das letzte Haus in Savamala. Und wir sind hier, um es zu schützen“, erzählt Milos.


Ivan Timotijevic am Tag der angesetzten Räumung – es kamen viele Unterstützer um ihn vor der Räumung zu bewahren und Vertreter von Medien um über diesen letzten Wiederständler zu berichten. 


In „Bara Venecija“ lebten einst etwa 220 Einwohner. Ivan Timotijevic wohnt seit 27 Jahren mit seiner Frau, Tochter und drei Enkelinnen dort.


Außer dem Haus von Familie Timotijevic wurden alle Häuser bereits abgerissen.


Bis 2019 sollen die Stadtteile am Save-Ufer in eine Art „serbisches Manhattan“ mit 13.000 neue Büroarbeitsplätzen, Shoppingmalls, Luxushotels und neuen Wohnungen verwandelt werden.


Dazu ein 200 Meter hoher Turm, der die Innenstadt Belgrads überragt. Laut der serbischen Regierung liegt das Investitionsvolumen bei rund 3,2 Milliarden Euro.


"Wir geben es nicht her!" Unterstützer protestieren gegen die Mega-Baustelle und die Räumung der verbleibenden Häuser von Anwohnern.

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Quellen:

Gespräche mit „Ne da(vi)mo Beograd“ Aktivisten und Teilnehmern der Protestaktion am 26.08.2016
Serbische Medien: telegraf.rs, politika.rs, mondo.rs, slobodnaevropa.org


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