Montenegro

Nato-Staat mit Mafiamethoden

Es ist kein guter Zeitungpunkt für eine Nato-Erweiterung im Osten – Flüchtlingskrise, Terrorangst in Europa, ein Tiefpunkt der euro-atlantisch-russischen Beziehungen und eine drohende Internationalisierung des Syrien-Krieges bestimmen die Agenda. Dennoch wird die Nato in dieser Woche zum ersten Mal seit Jahren über ihre Erweiterung entscheiden: Montenegro, die kleinste der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken, unabhängig seit 2006, wird in dieser Woche aller Wahrscheinlichkeit nach eine Einladung zum Beitritt in das euro-atlantische Militärbündnis erhalten.

An diesem Dienstag oder Mittwoch wollen die Außenminister der Nato-Mitgliedsländer bei ihrem Treffen in Brüssel über den Beitritt Montenegros entscheiden. Doch der ist hoch umstritten. Zwar ist das Land mit seinen 600.000 Einwohnern nicht nur klein, sondern zugleich auch militärisch bedeutungslos – seine Miniarmee umfasst lediglich 2.100 Soldaten. Aber in Montenegro spielt sich seit langem ein euroatlantisch-russischer Kampf um Einfluss auf dem Westbalkan ab. Zudem ist das Land innenpolitisch tief gespalten: Die meisten Oppositionsparteien wie auch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung – Umfragen zufolge etwa die Hälfte – sind gegen eine Nato-Mitgliedschaft.


Mafia-Methoden

Montenegros starker Mann ist der Regierungschef Milo Djukanovic, der seit einem Vierteljahrhundert ununterbrochen regiert. Er hielt sein Land aus den jugoslawischen Sezessionskriegen weitgehend heraus und löste Montenegro 2006 friedlich aus der Föderation mit Serbien. Daher rührt der Ruf Montenegros als Insel der Stabilität auf dem Westbalkan und daher konnte Montenegro als erstes Land südlich von Kroatien im Juni 2012 EU-Beitrittsverhandlungen aufnehmen.

Anderseits werfen Oppositionspolitiker und unabhängige Kritiker Djukanovic und seinen regierenden Sozialisten vor, im Land mit Mafia-Methoden zu herrschen. Fest steht: Djukanovic, seine Familie und seine politischen Freunde haben sämtliche Schlüsselpositionen im Land inne und sind mutmaßlich in Korruptionsaffären und organisierte Kriminalität verwickelt.

Lange Zeit galt Montenegro, ähnlich wie Zypern, als sicherer Hafen für russische Milliardenvermögen – reiche Russen kauften große Teile der malerischen Adria-Küste auf, der russische Oligarch Oleg Deripaska erwarb einen Mehrheitsanteil am größten montenegrinischen Unternehmen, dem Aluminiumkombinat KAP.


Russland kann Montenegro nicht mehr unterstützen

Inzwischen ist Djukanovic auf eine eher anti-russische Linie eingeschwenkt. Denn Russland kann Montenegro nicht finanziell unterstützen, eine euroatlantische und europäische Perspektive ist auf Dauer schlicht lukrativer. Schon seit Jahren liefern sich der montenegrische Staat und Deripaska einen erbitterten Rechtsstreit um das Aluminiumkombinat KAP – angeblich habe Deripaska seine Invesitionsversprechen nicht erfüllt. Russische Immobilienbesitzer ziehen sich zunehmend aus Montenegro zurück. Djukanovic unterstützt zugleich die EU-Sanktionen gegen Russland.

Den politischen Preis einer europäischen Integration – eine Demokratisierung und radikale rechtsstaatliche Reformen im Land – zahlt das Djukanovic-Regime jedoch nur sehr zögerlich. Seit Monaten protestiert die Opposition auf der Straße und boykottiert die Parlamentsarbeit – sie fordert unter anderem eine neue Wahlgesetzgebung, die Wahlfälschungen vorbeugt. Erst jüngst begannen montenegrinische Behörden damit, korrupte Politiker und Unternehmer zu verhaften. Eine Reihe von Übergriffen auf Journalisten in den letzten Jahren, darunter ein Mord, sind nach wie vor unaufgeklärt.

Was die Gemengelage jedoch für EU und Nato schwierig macht: Teile der Opposition und viele der rund 30 Prozent Serben in Montenegro sind gegen einen Nato-Beitritt und hegen auch Vorbehalte gegen eine EU-Integration des Landes. Montenegros Unabhängigkeit offen in Frage zu stellen wagt keine politische Kraft, aber eine Reihe von Oppositionspolitkern würden eine engere Anlehnung an Serbien befürworten.

In dieser Situation setzen EU und Nato bei allen demokratischen Mängeln im Land auf Djukanovic als Garanten von Stabilität in der Region – eine Politik, die von zahlreichen Bürgerrechtlern und zivilen Aktivisten im Land scharf kritisiert wird. Doch ihre Argumente haben die Nato offenbar nicht überzeugt: Der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg lobte vor wenigen Tagen Montenegros „beeindruckende Reformpolitik“ und sagte, die Nato-Mitgliedschaft werde die Demokratie im Land deutlich stärken.

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Quellen:

- eigene Gespräche/Interviews mit Bürgerrechtlern und zivilen Aktivisten in Montenegro
- 2014: Interview mit dem Regierungschef Milo Djukanovic
- Hintergrundgespräche mit Nato-Vertretern


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