Die unsichtbare Gefahr
Todor Jankovic kann sein Glück noch immer nicht fassen: Wenige Monate ist es her, dass der 62-Jährige nahe seines Hauses in Skipovac Donji beim Holzsammeln eine Mine aktivierte, die so konstruiert ist, dass sie nach dem Auslösen einen halben Meter über der Erde explodiert und eine tödliche Splitterladung abgibt. Doch die Mine versagte und fiel als Blindgänger zu Boden. „Ich weiß, ich hatte unfassbares Glück“, bemerkt er verlegen. Seit knapp zehn Jahren leben er und seine Frau in unmittelbarer Nähe der unsichtbaren Gefahr. Einen Meter hinter dem Grundstück markieren rote Warnschilder mit Totenköpfen den Beginn des Minenfeldes.
Zwei Jahrzehnte sind seit dem Ende des Bürgerkrieges in Bosnien vergangen, doch noch immer liegen 120.000 Minen entlang der ehemaligen Frontlinien vergraben. „Mein Sohn Mato ist mit Minen groß geworden“, erzählt Jana Spionjak aus Grebnice. In Bosnien wird bereits Kleinkindern beigebracht, auf die roten Warnschilder zu achten. Dennoch ist die Gefahr stets präsent.
Mato und sein Vater Joso gingen vor den Wintermonaten täglich auf Suche nach Brennholz, welches in der kalten Jahreszeit lebensnotwendig ist. „Joso war vorsichtig und hat markierte Gebiete gemieden“, weiß Spionjak. Dennoch passiert letzten September die Tragödie. „Er löste beim Holzsammeln eine Mine aus und war sofort tot.“ Mato überlebte schwer verletzt. „Der Junge war hinter dem Traktor, mit dem das Holz transportiert wird. Sonst hätte er kaum überlebt“, sagt Spionjak.
Mine hinter dem Haus
Grebnice liegt am Fluss Sava, der im Frühjahr 2014 von der Flut am Balkan stark betroffen war. Viele Minen wurden weggespült und Gebiete, die zuvor als sicher galten, mussten neu markiert werden.
Seit dem Kriegsende vor 20 Jahren wurden 1.732 Personen in Landminenunfälle verwickelt. 600 starben, der Rest wurde zum Teil schwer verletzt, in vielen Fällen mussten Gliedmaßen amputiert werden. Doch es gibt auch eine positive Entwicklung: Der Tod von Joso Spionjak war bislang der letzte fatale Unfall in Bosnien. Noch nie hat es seit Kriegsende eine so lange Zeit ohne Unfälle gegeben.
Eine der erschütterndsten Familienchroniken ist jene von Razija Aljic aus Lukavica Rijeka. Als sie nach dem Krieg in ihr Haus zurückkehrte waren die umliegenden Wälder vermint. Ein Jahr später stirbt als erster ihr 19-jähriger Sohn Nedzad in der Nähe des Hauses durch eine Mine. „Es vergingen keine zwei weiteren Jahre bis zum nächsten Unfall“, erzählt Aljic über den Tod ihres Ehemannes. Auch er war im Wald, um Brennholz zu suchen. „Die letzte Explosion war dann so laut, dass ich sie bis in die Küche hörte“, bringt Razija ihre Leidensgeschichte zu Ende. Die Detonation einer Splittermine tötet 2011 auch noch ihren zweiten Sohn und dessen Schwager.
Ermüdende Arbeit
In Skipovac Donji, bei Glückspilz Todor Jankovic, hat die norwegische NGO Norwegian People’s Aid (NPA) im April dieses Jahres mit den Räumarbeiten begonnen. Knapp 103.000 Quadratmeter müssen Stück für Stück gesäubert werden. In flachen Bereichen kommt ein gepanzertes Fahrzeug zum Einsatz. „Damit können wir viele Minen auslösen und unschädlich machen“, erläutert Amela Balic, Operation Manager von NPA. „Danach müssen zuerst die Spürhunde, dann unsere Entminer ran“. Die perfekt gedrillten Hunde suchen entlang einer geraden Schnur in der Erde nach Explosivstoffen. „Erst wenn zwei Spürhunde das Gebiet untersucht und nichts entdeckt haben, kommen die Entminer dran“, erläutert Balic das strenge Sicherheitsprotokoll.
Knapp 120 Entminer waren bislang in Unfälle verwickelt, 47 von ihnen starben. Der Boden in Skipovac Donij macht es den Profis nicht leicht, er ist voll von Granatsplittern, weil der Ort früher an der Front lag. Die Arbeit ist ermüdend. Niemand darf sich darauf verlassen, dass es sich bei einem Signal nur um ein ungefährliches Metallstück handelt. Manche Minen sind aus Plastik und haben einen geringen Metallanteil. Ein Fehler wäre lebensgefährlich, jedes Signal muss streng nach Protokoll untersucht werden. Viele Unfälle entstehen durch Routinefehler.
Todor Jankovic schätzt die Bemühungen. „Ich wünsche mir, dass meine Enkel mich besuchen. Aber wie kann ich sie herholen, wenn überall der Tod lauert?“, fragt er. Doch er weiß, dass der Ort möglicherweise bereits im August dank der intensiven Arbeit minenfrei sein wird. Dann gehen auch die landwirtschaftlichen Nutzflächen an die Eigentümer zurück. Er hofft, dass dann endlich auch die Kinder und Enkelkinder der wenigen Rückkehrer kommen. „Die Zukunft gehört den Jungen“, sagt Todor.