Ukraine

Wirtschaftskrise unter Palmen

An der Rezeption hängt eine Weltkarte, von bunten Fähnchen und Stecknadeln übersäht. Europa ist unter einem Fahnenmeer schon völlig verdeckt, vereinzelte Fähnchen stecken in den USA und im Fernen Osten Russlands. Swetlana, eine blonde Frau Anfang Vierzig, zeigt stolz das Gästebuch: Einträge auf Französisch, Deutsch, Arabisch. An der Wand hängen Banknoten, liebevoll in Folie geschweißt – aus Vietnam, aus der Ukraine und Belarus.

In letzter Zeit sind allerdings wenig neue Fähnchen dazugekommen, aktuelle fremdsprachige Einträge sucht man im Gästebuch des Hotels Tschajka vergebens. Seit Russland die Krim vor einem Jahr annektiert hat, bleiben ukrainische sowie internationale Touristen der Krim fern – auch hier, in Jalta, der bekannten Touristenstadt am Schwarzen Meer.


Russische Stammgäste

Swetlana seufzt. Der Preis für das teuerste Appartement musste für diesen Sommer um mehr als ein Viertel heruntergesetzt werden. Das wäre nicht so schlimm, wenn nicht zugleich die Preise auf der Halbinsel um teilweise mehr als 50 Prozent in die Höhe geschossen wären – infolge des Rubelverfalls und der Versorgungsschwierigkeiten. „Unterm Strich bleibt uns heute viel weniger als früher“, sagt Swetlana. „Dabei hatten wir noch Glück, weil wir immer schon viele russische Stammgäste hatten.“

Der Tourismus ist auf der Krim der wichtigste Wirtschaftszweig. Jeder Zehnte der rund zwei Millionen Einwohner lebt vom Fremdenverkehr. Knapp vier Millionen Touristen haben die Krim im vergangenen Jahr laut Angaben des Tourismusministeriums der Republik Krim besucht. Vor der Annexion strömten indes noch sechs Millionen Urlauber auf die Krim – vor allem aus der Ukraine. Aktuell rechnen die Behörden mit 4,3 Millionen Touristen – das ist trotzdem noch ein Drittel weniger als zu Spitzenzeiten.

Offiziell ist man derweil um Beruhigung bemüht. So sollen die Rückgänge einfach durch mehr russische Touristen ausgeglichen werden. Die machten vor der Annexion allerdings nur 25 bis 35 Prozent der Krim-Besucher aus. Um etwa ein viertel sollen nun die Besucherzahlen aus anderen GUS-Ländern steigen, gab die Ministerin für Tourismus auf der Krim vor einigen Tagen bekannt.


Mastercard und Visa gelten nicht mehr

Doch wer sich für einen Urlaub auf der Halbinsel entscheidet, muss mit Problemen rechnen. Mastercard und Visa haben infolge der Sanktionen ihren Betrieb auf der Krim eingestellt. Zwischen dem ukrainischen Festland und der Halbinsel herrscht kein Zugbetrieb mehr. Wer den Weg über die Fähre im Osten der Halbinsel – über die Straße von Kertsch – nimmt, muss mit langen Wartezeiten rechnen.

Zwar wird der Flughafen Simferopol gerade aufwändig ausgebaut, doch vor der Krise nahmen nur rund fünf Prozent der Besucher den Luftweg auf die Halbinsel. „Die Krim war immer die billige Urlaubs-Variante“, sagt ein lokaler Journalist, der anonym bleiben will. „Wer Geld hat, fuhr lieber gleich weiter ins Ausland, wo der Service besser ist – also in die Türkei oder nach Ägypten.“

Im Stadtzentrum von Jalta blickt die Lenin-Statue auf das Meer hinaus, von Palmen eingefasst, dahinter die sanften Hügel des Krimgebirges. Die Wellen peitschen an die verwaiste Uferpromenade. „Natürlich war in den vergangenen Jahren mehr los“, sagt Alexander, ein junger Mann in Lederjacke. Er arbeitet in einer Schießbude. Aus den Lautsprechern dröhnt eine Rockversion der russischen Nationalhymne, auf dem Platz patrouillieren Polizisten. „Aber alles wird gut, wenn erst einmal die Brücke gebaut wird“, setzt er sogleich hinzu.


Hoffen auf die Brücke

Präsident Wladimir Putin hat bis 2018 den Bau einer Brücke über die Meerenge von Kertsch angekündigt, um Russland und die Krim auch über den Landweg miteinander zu verbinden. „Wenn erst die Brücke gebaut ist, wird es wieder aufwärts gehen“, hofft auch die Hotel-Angestellte Swetlana.

Aber nicht nur im Tourismus kämpft die Krim mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten. So wurden zwar – wie von Moskau angekündigt – die Pensionen und die Gehälter im Staatsdienst auf russisches Niveau angehoben. Die höheren Einkünfte werden aber von einer Inflation von über 40 Prozent aufgefressen. Und die Preise steigen weiter. Für viele Krimbewohner bleibt somit heute kaum mehr in den Taschen als vor der Annexion.


Enteignungen sind an der Tagesordnung

Vor allem für Unternehmer ist die Situation schwieriger geworden – oder gar unmöglich. Murat ist Anfang Dreißig und ein Kleinunternehmer in der Autobranche. Mit der Annexion musste er sein Geschäft schließen, da er seine Waren aus der Ukraine importierte. Mit dem Aufbau einer neuen Grenze zwischen dem ukrainischen Festland und der Krim ist der wichtigste Vertriebsweg für die Krim verloren gegangen. Zudem haben praktisch alle ukrainischen und westlichen Unternehmen die Krim verlassen und damit viele Angestellte ihre Arbeit verloren. So steht auch der McDonald’s im Stadtzentrum von Jalta, unter dem gestrengen Blick von Lenin, leer.

Manche ukrainische Unternehmen wurden auch von Moskau verstaatlicht. So geschehen mit dem führenden Festnetzanbieter in der Ukraine, Ukrtelekom, ein Unternehmen des ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow. Im Februar hatte der Krimer Staatsrat die Nationalisierung von Ukrtelekom beschlossen – und das Unternehmen einfach in „Krymtelekom“ umbenannt. Noch abenteuerlicher ging es zuletzt bei der Werft „Zaliw“ zu: So sollen Milizen in Sturmhauben die Werft gewaltsam eingenommen haben, wie die New York Times berichtet.

Laut Anwälten sollen auf der Krim auf diesem Weg bisher Immobilien und andere Vermögenswerte im Wert von rund 940 Millionen Euro enteignet worden sein. Sogar auch russische Unternehmer scheuen davor zurück, auf der Halbinsel zu investieren, solange der Status der Krim umstritten und die Rechtslage unsicher ist.

Viele Krimbewohner sehen ihrer Zukunft trotzdem positiv entgegen – und stellen ihre Wahl vor einem Jahr nicht in Frage. Auf die wirtschaftlichen Probleme angesprochen, antworten sie fast einhellig: „Wir sind in einer Übergangsperiode, das schaffen wir schon. Und schauen Sie in die Ukraine: Dort ist die Lage ja noch viel schlechter.“

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Quellen:

Persönliche Gespräche in Jalta

Artikel zu Enteignungen: http://www.nytimes.com/2015/01/11/world/seizing-assets-in-crimea-from-shipyard-to-film-studio.html?_r=2

Tourismuszahlen: http://www.regnum.ru/news/polit/1906978.html

Inflation: http://www.bloomberg.com/news/articles/2015-01-15/crimeas-inflation-is-second-highest-in-the-world


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